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: Gefrorener Quatsch

Im hochnobel renovierten „Bürgerhaus“ von Königs Wusterhausen las die DDR-Bestseller-Autorin Ruth Kraft. Sie hat nach dem Krieg das erste Buch über Peenemünde veröffentlicht: „Insel ohne Leuchtfeuer“ (Verlag der Nation 1959) und ist die einzige Frau, die über diesen Männerwahn schrieb – und dann noch einen Roman (die meisten Bücher von „Peenemündern“ sind nur unfreiwillig Fiction).

Das zeigte sich auch auf einer vom K.W.-Kulturbund veranstalteten Lesung: Ein alter Peenemünder, der anschließend von den Sowjets in ein Leningrader Forschungsinstitut verbracht wurde, mit Extra-Lebensmittelkarten und gutem Gehalt, stritt ab, daß Wernher von Braun und sein technischer Leiter Arthur Rudolph noch kurz vor der Bombardierung Peenemündes, am 2. Juni 1943, 1.400 KZ-Häftlinge von der SS angefordert hatten: „Das hat alles nur die SS zu verantworten, der Dr. Hans Kammler vom SS-Wirtschaftsverwaltungshauptamt“, wiederholte er wie ein verstockter Revisionist, der alle Geschichten über kommunistische Schandtaten für reaktionäre Greuelpropaganda hält.

Ruth Krafts Roman lag von Anfang an nicht auf der Linie des RealSoz und bekam deswegen nicht einmal im Kulturbund-Periodikum Sonntag eine positive Besprechung – überhaupt keine. Dennoch wurde das Buch über 500.000 mal in der DDR verkauft, in der ersten Zeit überwiegend von Frauen. „Rudolf Leonhardt hatte uns gesagt, es geht darum, die Vergangenheit zu bewältigen, indem man darüber schreibt. Die Männer schrieben über ihre Kriegserlebnisse. Ich habe dann über unser mathematisches Büro in der Heeresversuchsanstalt geschrieben. Die Tschechen waren ganz erstaunt, als ich dort später im Verlag aufkreuzte und sie sahen, daß ich eine Frau war: Sie dachten, das wäre ein Pseudonym und ich hieße Rudolf Kraft.“

Das „Kraftchen“ gehörte zum Freundeskreis um von Braun und Rees: „Wenn wir uns z.B. im Hotel Schwabe in Zinnowitz trafen, und von Braun war dabei, wurden Krebse aufgetischt, und das im dritten Kriegsjahr!“ Über die „Peenemünder“, die sich seit der Wende alljährlich im „Informationszentrum ,Wiege der Raumfahrt‘“ auf Usedom treffen, sagte sie: „Ihre Erinnerungen an die wissenschaftlichen Leistungen dominieren.“ Ihren Roman, dem die Antifas „Verniedlichung des Faschismus“ vorwarfen, bezeichnete sie lange Zeit als „Betriebsroman“. „Es sollte eigentlich ein Film draus werden.“

Ihr Mann war zu der Zeit Cheflektor in der Defa-Dramaturgie. Wegen der Antifa-Kritik („Ich war keine Spezialistin, ferner eine Frau, kam aus der DDR, und dann hatte ich noch das jüdische Problem mit der Raketengeschichte verflochten, all das paßte vielen nicht.“) distanzierte sich später der Drehbuchschreiber des 1967 fertiggestellten Defa- Films „Die gefrorenen Blitze“, Harry Türck, von ihrem Buch („Von-Braun-Verherrlichung“), gleichwohl benutzte er es „hemmungslos“ als Vorlage – ohne Ruth Kraft auch nur zu erwähnen! Dieser gefrorene Quatsch lief hinterher noch einmal im ORB: hernach kein Wort von Türck und seinem Interviewer über diese Geschichte: Es war (halt) ein „fetziger Stoff“! Das ehemalige „Rechenmäuschen“, Jahrgang 1920, ist heute jedoch milde gestimmt, ihr damaliger Bekannter, ein V-1-Testpilot, ist jetzt Raketenexperte im Verteidigungsministerium, von ihrem Honorar hat sie sich ein Haus in Zeuthen und eine kleine Fischerhütte in Ahrenshoop geleistet. Helmut Höge

Wird fortgesetzt