Musical ist im Kommen – doch wohin geht es?

■ In Berlin tut sich viel in Sachen Musical, auf staatlich geförderten Bühnen ebenso wie auf privaten und Off-Bühnen, aber an London oder New York reicht die Stadt noch nicht heran

In die Berliner Musical-Szene ist Bewegung gekommen. Die Zahl der Musical-Bühnen in der Stadt wächst, vom traditionsreichen Metropol in der Friedrichstraße über das Theater des Westens bis zu den Kammerspielen oder dem aufstrebenden Kama- Theater. Seit private Betreiber auf dem Vormarsch sind, hat die Diskussion um die subventionierte Unterhaltungskultur neuen Zündstoff bekommen. Besonders umstritten: die Zukunft des Metropol- Theaters, mit einem Etat von 36,5 Millionen DM für 1995/96 eines der am höchsten subventionierten Staatstheater in Berlin.

Seit vier Jahren ist die Privatisierung dieser staatlich geförderten Musical- und Operettenbühne in der Diskussion. Zumal die Ausgaben im Kulturhaushalt seit 1991 um 200 Millionen Mark gestiegen sind. „Wir kommen uns vor“, sagt Verwaltungsdirektor Stefan Rohr, „wie eine Art Sandsack, der in der Luft hängt, und jeder darf mal drantreten.“ Gemeinsam mit einer Investorengruppe hatte der Senat ein Konzept ausgehandelt, das im Tausch gegen verschiedene Grundstücke zwischen Bahnhof Friedrichstraße und Weidendammbrücke eine privatwirtschaftlich getragene Sanierung und anschließende Bespielung des Hauses vorsah. Dieses Konzept sollte das Metropol rationeller bespielbar machen.

Doch nun ist es wohl „vom Tisch“, glaubt Stefan Rohr. Das Metropol soll, ähnlich wie der Friedrichstadtpalast, in eine landeseigene GmbH umgewandelt werden. Das bestätigt der kulturpolitische Sprecher der CDU, Uwe Lehmann-Brauns: „Dieser Vorschlag wird sich durchsetzen. Das Land Berlin darf die Haushaltsverantwortung für ein derart traditionsreiches Haus nicht aufgeben.“

Auch in den Reihen der SPD ist ein Umdenken in Sicht. „Entschieden ist noch nichts“, dementiert Rainer Klemke, Presseprecher des Kultursenats. „Eine Reihe von Abgeordneten glaubt jedoch, daß nur über eine landeseigene GmbH das Metropol zu sichern ist.“ Wie genau die Finanzierung in diesem Fall aussehen soll, ist langfristig noch nicht geklärt. Ob das Land auf lange Sicht Mittel für eine Grundinstandhaltung des Theaters bereitstellen kann, damit sich das Metropol behaupten kann, ist fraglich.

Die Konkurrenz jedenfalls wächst. Vor allem private Unternehmer machen sich auf dem Markt breit. Demnächst wird Peter Schwenkow internationale und deutsche Musical-Produktionen im Schillertheater spielen. Schon hat Rolf Deyhle den Vorvertrag mit Debis für ein Musical am Potsdamer Platz unterschrieben. 1998 soll auf dem Gelände von Daimler- Benz ein Mega-Musical-Theater à la „Starlight-Express“ mit etwa 1.700 Plätzen errichtet werden.

Doch auch bei den kommerziellen Betreibern läuft nicht immer alles wie geplant. Die Auslastung des Musicals in der Freien Volksbühne sank im Sommer 1994 sogar knapp unter 50 Prozent. Und das bei Showkosten von 13,5 Millionen Mark. Entsprechend kritisch sehen die Betreiber die staatlich subventionierten Musical-Bühnen. „Musical ist eine Kulturform, die nur ohne Subventionen richtig gut sein kann“, sagt Roland Berger, Gesellschafter des Musical-Theaters.

Neben den neuen, großen Produktionen gibt es auch ältere Häuser, die sich mit den unterschiedlichsten Konzepten standhaft behaupten können, wie die Deutschen Kammerspiele, die musikalisches Jugendtheater mit aussichtsreichen Nachwuchstalenten bringen, sowie das Grips, das Berliner Musical für junge Leute bietet.

Auch im Bereich des Off-Musicals weht ein frischer Wind. Vor allem das Kama-Theater, das seit November 1991 mit 99 Plätzen weitab vom großen Brimborium sein musikalisches Theater inszeniert, gilt als erfolgreiche Nachwuchsschmiede der Stadt.

Das Musical ist im Kommen – kein Zweifel. Schon wird die Angst laut, ob es nicht zuviel der leichten Muse sei, die auf den Bürger einströme. „Die Diskussion ist fast hysterisch“, meint Rainer Klemke vom Kultursenat, „und typisch für die deutsche Trennung zwischen Hoch- und Niedrigkultur.“

Ob Berlin in puncto Musical auf dem deutschsprachigen Markt irgendwann mal wird ranreichen können an London oder gar New York, ist mehr als fraglich. „Berlin wird sich sehr anstrengen müssen“, meint Peter Schwenkow, „um gegen die große Konkurrenz in Hamburg und Wien bestehen zu können.“ Glaubt man Helmut Baumann vom Theater des Westens, wird es in jedem Fall noch einige Zeit dauern: „Der Markt ist da. Doch erst einmal muß Berlin Weltstadt werden.“ Anja Dilk