Alles echte Emotionen

Eine Comedy-Truppe geht mit einem verschollenen Musical von Christian Anders auf Tournee  ■ Von Thomas Winkler

Manche kindlichen Rituale ändern sich nur schleppend. Wir, die wir unsere Kindheit in jenem dunklen Jahrzehnt verbringen mußten, das inzwischen mit dem häßlichen Etikett „die 70er“ bezeichnet wird, schrieben die Bands, zu denen wir uns bekannten, mit Kugelschreiber auf unsere Federtaschen; heutzutage kann man Fotos von Take That, den Nachfolgern von Bay City Rollers und Sweet, direkt aus der Bravo abziehen und an einen prominenten Ort kleben.

Doch wenn wir damals alle ehrlich gewesen wären, hätten wir ein Plätzchen reservieren müssen für Peter Orloff, Michael Holm oder Christian Anders, die uns allwöchentlich Ilja Richter präsentierte. Aber damals wußten wir auch noch nicht, daß Christian Anders im Jahre 1973 so berührt war von seinem verlogenen Leben als Schlagerstar, daß er seine Erfahrungen in einem Konzeptalbum verarbeiten mußte. Anders nannte es ein Musical, dabei war „Der Untergang von Taro Torsay“ eine Oper, mindestens. Dummerweise wollte es keiner hören und erst recht niemand auf die Bühne bringen. Und so versank diese gnadenlose Abrechnung in Vergessenheit.

Bis Thomas Hermanns eines Tages durch einen Münchener Second-hand-Plattenladen stöberte. Auf Hermanns' Federtasche hatte lange Zeit Abba gestanden, bis er „ohne Probleme zu Disco-Musik überging“. Schon in der Schule haßte er die Pink-Floyd-Fraktion. Später zog er dann mit Freunden und einer Travestie-Show im Bus über Land: „Wir hätten schon vor zehn Jahren ,Priscilla‘ drehen können.“ Doch an diesem Tag sollte sich sein Leben ändern. Der erfolgreiche Fernsehmacher (u.a. „Quatsch Comedy Club“ auf premiere, auch Texte für „Liebe Sünde“), Choreograph (Modeschauen für Boss, Bogner, aber auch Avantgarde-Designer) und Musical-Regisseur (u.a. „Grease“) fand in diesem Doppelalbum, das er schließlich für den stolzen Preis von drei Mark mit nach Hause nahm, die Rolle seines Lebens.

Fortan trieb es ihn um, die stark von Anders' Biographie gefärbte Geschichte um Taro Torsay, vom „Aufstieg und Fall eines Popstars“ (Untertitel), auf die Bretter zu bringen. Als er fünf weitere Schauspieler gefunden hatte, mußten zehn Tage genügen, das komplexe Stück mit seinen Dutzenden von Rollen in München premierenreif zu proben. Verändert wurde nur der Titel. „Es fährt ein Zug nach Nirgendwo“, der größte Hit von Anders, sorgte für schnellere Vertrautheit: „Wir bewegen nur die Lippen, weil man das so auch gar nicht authentisch hinbekommen würde. Das hat eher einen schrecklichen Hyperrealismus, weil wir es so spielen, wie es gemacht ist. Wir haben es nur gekürzt und mit bekannteren Titeln von Anders und auch anderen Leuten angereichert, weil: Wenn ich die ganze Doppel-LP durchhöre, werde ich auch depressiv.“ Seitdem wurden zwar auch die Menschen in Hamburg und Köln begeistert, aber bisher mußte Hermanns finanziell nur zuschießen, und „das ist ja auch peinlich, wenn man selber zahlt, um auf die Bühne zu kommen“.

Deshalb jetzt eine Tournee durch die ganze Republik, die im Huxley's in Berlin begann. Dort klatschten zum dramatischen Finale Hunderte von Menschen hysterisch im Takt, Tunten hielten Händchen und blickten sich verliebt in die Augen. Nur sehr wenige Ältere waren gekommen, der Großteil zählte kaum mehr als dreißig Lenze. Auf der Bühne quietschten die Nappalederjacken, blitzte das Schwarzlicht und chargierten die Darsteller, daß noch in der letzten Reihe die Goldkronen zu sehen waren.

Zu Beginn der zwei Stunden schien es noch, als wollte sich das Publikum durch Lachen von den dunklen Flecken der eigenen Kindheit befreien. Und Hermanns, der die Aufführung mit der Versicherung eröffnete, daß alles original Christian Anders 1973 ist – selbst die ebenso kurzen wie dümmlichen Zwischendialoge zwischen den fast dreißig Songs –, weiß darum: „Ein spezifisch deutsches Problem ist, daß man den Leuten die Erlaubnis geben muß, so was schön finden zu dürfen. Und dann können sie es auch wieder genießen, wie sie es als Kinder genossen haben.“

Zum Ende hin fallen tatsächlich alle Hemmungen. Man hebt die Hände über den Kopf und klatscht und tobt zu „Gefangener der Liebe“. Hermanns glaubt, „daß diese Schlager immer noch klappen, weil diese Arrangements, diese Hooklines zum Teil auch Qualität haben. Und die muß man einfach auch mal als Popqualität akzeptieren. Die Reaktion ,Iih, wie gräßlich!‘ trägt nicht einen ganzen Abend lang. Es klappt nur, wenn die Leute es auch mögen. Die kaufen sich hinterher doch sogar die Platten.“

Doch warum dann das Ganze nicht einfach so auf die Bühne bringen, wie es gemeint ist – als ernste Abrechnung mit der „grausamen und amoralischen Welt der Pop-Stars“ (Stern)? „Weil es viel zu schlecht ist. Da hat jemand sehr hoch gegriffen und ist sehr weit unten gelandet. Aber dann kommt der Comedy-Teil und mit ihm der Unterhaltungswert rein, den das Ding hat – so wie eine alte Screwball-Komödie. Und das trägt den Abend. Aber es gibt natürlich auch ganz viele, die die 70er einfach so hinstellen, aber damit kannst du mich jagen. Nostalgie hasse ich. Wir sind keine 70er-Revival-Veranstaltung.“

Und was hält eigentlich der Autor selbst davon? „Anders hat es zweimal gesehen und ist im Grunde ganz cool geblieben, weil er damit gebrochen hat. Der macht als Guru jetzt was ganz anderes. Aber er sagt natürlich, daß nur gute Sachen persifliert werden können, das hat er sich so zurechtgelegt. Wenn er Rex Gildo wäre, der das noch jeden Tag in einem Bierzelt tut, dann könnte er auch nicht drüber lachen. Aber zu dem Zeitpunkt, als er es geschrieben hat, hat er es ernst gemeint. Er war damals depressiv, er fand die Musikindustrie schlimm, und er wollte durchaus kein Star mehr sein. Also alles, was dann verzerrt und im Grunde schlecht in dem Musical steht, sind echte Emotionen.

Und das bestätigt meine Theorie, daß man so was nicht aus Kalkül erschaffen kann. Man erwischt nicht diese Intensität – selbst im Scheitern –, wenn man es nicht fühlt.“

Termine: 9.1. Bielefeld, 11.1. Freiburg, 12.1. München, 14.1. Dresden, 21.1. Offenburg, 23.1. Stuttgart, 24.1. Koblenz, 27.1. Bonn, 2. + 3.2. Bremen, 4.2. Neuruppin, 5.2. Kassel, 6.2. Bonn, 7. + 8.2. Stuttgart, 9.2. Coburg, 10.2. Bamberg, 12.2. Essen, 13. + 14.2. Kassel, 17. + 18.2. Essen, 23.–27.2. Dortmund