Nicht abschreiben, sondern aufschreien!

■ betr.: „Der Rest ist Abschreiben“ (Die Berliner Grünen zum Abtrei bungsrecht) von Julia Albrecht, taz vom 25. 1. 95

Die moralischen Überzeugungen der Grünen sollen gut gemeint, aber verlogen sein, sagt Julia Albrecht, denn bei den Diskussionen um die Neuregelung des Abtreibungsrechts würde dem Eigentlichen entgegengehandelt, und dies sei das Wohl der Frauen, die „ob sie nun wollen oder nicht, ein Abtreibungsrecht“ brauchten.

Wahrlich! Die Frauen brauchen – besser: haben(!) – ein Recht auf Abtreibung. Aber: Das „Recht“ im Sinne des Urteils des BVerfG vom 28. 5. 93 hat sie doch hoffentlich nicht gemeint!? Also zum Beispiel so etwas: Unwerturteil (natürlich nur für Frauen) durch Kostenübernahme, weil der Sozialgemeinschaft nicht zugemutet werden kann, daß sie das „Tötungsverlangen“ von Frauen auch noch finanziell unterstützt; eine zielgerichtet-offene „Beratung“, die der Frau klarmachen soll, daß das sogenannte Ungeborene auch ihr gegenüber ein Recht auf Leben hat, die also ihr angeblich fehlendes „Rechtsempfinden“ und ihre angeblich ebenso fehlende Verantwortung für das ungeborene Leben dadurch stärken muß; eine „Beratung“, die Zwang ist, weil Männer und Frauen laut BVerfG ihre eigenen Lebensvorstellungen nicht selten überbewerten; dann: Menschenwürde gelte bereits ab Nidation (Eieinnistung) – und deren Schutz auch gegen den Willen der Frau, die sich zu einer Abtreibung (Tötung!) entschlossen hat, ja solches verlangt und sich vermutlich deshalb nicht auf ihre Menschenwürde berufen darf; usw. usw.

Recht hat Albrecht, wenn sie die Schrumpfentwürfe, die sich auf die Debatte von Kosten und Beratung reduzieren, kritisiert. Denn die zahlreichen Auslassungen sind fahrlässig! So ist die kriminologische Indikation (Vergewaltigung), über die kaum Worte verloren werden, extrem frauenfeindlich. Allen Ernstes wird behauptet, daß „solche Frauen“ „kaum Anlaß“ hätten, einer „Indikationsfeststellung auszuweichen oder die Beratung nicht mit der notwendigen Offenheit anzunehmen“ (S.93 im Urteil). Aber nenne mir jemand eine Frau, die, nachdem sie eine Vergewaltigung überlebt hat, sofort an den Paragraphen 218 denkt, demzufolge sie zur Anzeige gezwungen ist, weil nachgewiesen werden muß, daß das Kind vom Vergewaltiger stammt?

Diese perfide Verquickung unterschiedlicher Gesetze in der Lebenswirklichkeit von Frauen zeigt sich besonders in der Verbindung des Sexualstrafrechts mit dem Paragraphen 218 ff., denn Frauen, die vom eigenen Ehemann vergewaltigt wurden, können die kriminologische Indikation überhaupt nicht in Anspruch nehmen, weil Vergewaltigung in der Ehe im Sinne von Paragraph 177 in Deutschland immer noch ausdrücklich von Strafe ausgenommen ist (ein Grund, warum die Reform hier weiter verschleppt wird?).

Vollkommen daneben liegt Julia Albrecht, wenn sie die eh schon zu hohe „Kompromißfähigkeit“ der GesetzgeberInnen nochmals und verstärkt – ja, gar als Tugend – fordert. Will sie die Gewaltenteilung endgültig abschaffen? Gesetze machen immer noch die GesetzgeberInnen, und darauf müssen wir als BürgerInnen auch bestehen! So nimmt das lange, lange Urteil zu großen Teilen gar nicht an der Rechtskraft teil (Leitsätze, Gründe im Urteil). Trotzdem tun die GesetzgeberInnen seit dem 28.5.93 jedoch so, als säßen sie vor dem Dreifuß der Pythia!

Es käme auch nicht immer nur auf die eigenen Überzeugungen an, so Julia Albrecht. Um des Himmels willen! Gerade hier, wo der Brennspiegel der Rolle der Frauen in der Gesellschaft liegt, kommt es darauf an, die absolut androzentrischen Überzeugungen samt der unterliegenden moraltheologischen Doktrin des Spätmittelalters dorthin zu tun, wo sie hingehören: in die Vergangenheit!

Am Schluß meint sie gar, daß das BVerfG eine selten eindeutige Entscheidung verfaßt habe, und empfiehlt die Lektüre des Urteils. Was für ein Unsinn. Ich empfehle die Kürze halber die Passagen der Beratung: Bei der Auflösung der dort geschrieben stehenden Menge an ineinanderverklebten Paradoxien hätte vermutlich selbst eine Experte wie Paul Watzlawick seine liebe Not.

Der Rest ist nicht Abschreiben, sondern zum Aufschreiben! Monika Gerstendörfer,

Metzingen

[...] 1. Brauchen Frauen wirklich ein Abtreibungsrecht? Sie brauchen eins, wenn mensch den Spruch der Karlsruher Ersatzgesetzgeber als Gottesurteil und nicht revidierbar ansieht. Wenn man allerdings – vernünftigerweise – weiterhin auf der Forderung besteht, daß der Schandparagraph 218 aus dem Strafgesetzbuch zu verschwinden hat, braucht es lediglich Finanzierungsregelungen und ein plurales Beratungsangebot, das Frauen nach Bedarf in Anspruch nehmen können.

2. Es ist perfide und auch ein wenig dumm, den Bündnisgrünen „Schuld“(!) dafür zuzuweisen, daß es immer noch kein gültiges Abtreibungsrecht gibt. Im Gegensatz zur neugewählten bündnisgrünen Parteispitze und zur jetzigen Bundestagsfraktion wußte die nun zur PDS konvertierte Christina Schenk, frauenpolitische Sprecherin der letzten Bündnis-90-Bundestagsgruppe, daß das Karlsruher Urteil mit dem Selbstbestimmungsrecht der Frauen nicht zu versöhnen ist. Mit ihr wußten dies viele andere Frauen, und in einem ziemlichen innerparteilichen Kraftakt konnten sie verhindern, daß bereits vor einem Jahr ein bündnisgrünes „Schwangerenberatungsgesetz“ an Schenk vorbei in Umlauf gesetzt wurde.

3. Der jetzt vorgestellte Gesetzestext zeigt, daß das von Kerstin Müller und Rita Grießhaber vollmundig verkündete Ziel, den „Spielraum“ des Karlsruher Urteils so weit wie mögich auszuschreiten und Druck von links(?) auf die Regierungskoalition auszuüben, nicht erreicht werden wird, weil es nicht erreicht werden kann – eine ergebnisoffene Zwangsberatung, die auf die Fortsetzung der Schwangerschaft orientieren muß, ist eben nicht frauenfreundlich auszugestalten. Auch besteht parlamentarische Arbeit nicht nur aus Gesetzentwürfen. Man kann auch mit Änderungsanträgen und gescheiten Öffentlichkeitskampagnen wirksam im parlamentarischen Geschäft bleiben.

In etwa diese inhaltlichen Gründe und die Tatsache, daß der Gesetzentwurf erst den Medien und dann dem niederen Parteivolk vorgestellt wurde, veranlaßte die Landesdelegiertenkonferenz der Berliner Bündnisgrünen, die Bundestagsfraktion aufzufordern, den – eben aus dem Karlsruher Urteil abgeschriebenen – Gesetzentwurf nicht einzubringen. Wenn sie es dennoch tun sollte, dürften alle weinerlichen Promi-Klagen, daß bei den nächsten allfälligen Wahlen wieder so verwunderlich viele ostdeutsche BürgerInnen PDS statt Bündnis 90/Die Grünen gewählt haben, endgültig lächerlich klingen. Kerstin Herbst, Berlin

Die RichterInnen des Bundesverfassungsgerichts (BVerfG) betonen selbst, daß die Umsetzung ihrer Urteile deren Anerkennung in der Gesellschaft bedarf. Auch viele JuristInnen werfen dem BVerfG wegen des Abtreibungsurteils vom 28. Mai 1993 eine Kompetenzüberschreitung vor: Regelungen en detail sind Sache der Gesetzgebung!

Ich freue mich, daß wenigstens einige grüne Frauen noch so aufrecht bleiben, daß sie vom BVerfG nichts „abschreiben“, was so aus der Verfassung nicht herauszulesen war.

Verweigern wir diesem Urteil des BVerfG unsere Anerkennung! Brigitte Biermann, Duisburg

Nein (zum millionsten Male), wir brauchen kein Abtreibungsrecht. Wir wollen (seit den zwanziger Jahren dieses Jahrhunderts) die ersatzlose Streichung des Paragraphen 218! Als Dinosaurierin der Paragraph-218-Bewegung war ich sprachlos, als ich den Kommentar las. Auch weibliche Dummheit schmerzt!

Allein der Begriff: Abtreibungsrecht! Als handele es sich hierbei nicht um ein Strafrecht. Die meisten Frauen, einschließlich meiner Person wollen, was Frau Julia Albrecht vielleicht überraschen wird, gar nicht gestraft werden. Es ist sicher wahr, daß weibliche Sozialisation auf masochistische Strukturen rausläuft. Nur gut, daß sich auch hier seit einigen Jahrzehnten etwas änderte. Masochistinnen als Normalbürgerinnen sind megaout. Frauen wollen nicht per Gesetz gestraft sein. Auch nicht staatlich.

Die grünen Sisyphusfrauen, die sich für Straffreiheit, gegen Zwangsberatung, für eine Finanzierbarkeit von Abbrüchen (auch für arme Frauen) aussprechen, sind nun mal kleinlich, wenn es um Menschenrechte geht.

Die gute Untertänin Albrecht blickt so devot auf den Notizblock des Bundesverfassungsgerichts, als wüßte sie nicht, daß Rechte das Ergebnis eines gesellschaftlichen Prozesses sein sollten. Das festschreibende Organ ist übrigens die Bundesregierung, nicht das Bundesverfassungsgericht. Die Crux ist, daß das Bundesverfassungsgericht es sich ungewöhnlicherweise nicht nehmen ließ, in diesem Falle genaue Vorgaben zu machen. Aber auch dies sollte kein Grund für uns Frauen sein, in traditioneller Missionarsstellung zu verharren. Wir unten – und die oben. Tine Hauser-Jabs