„Wie Massenmörder Jeffrey Dahmer“

Das irische Parlament debattiert über Abtreibungen im Ausland / Eine rationale Diskussion ist kaum möglich / Katholische Fundamentalisten und „Lebensschützer“ gegen jede Öffnung  ■ Aus Dublin Ralf Sotscheck

Rory O'Hanlon ist einer der höchsten Richter Irlands. Im nächsten Monat wird der 66jährige pensioniert. In seiner langen juristischen Karriere hat sich der Vater von zwölf Kindern immer wieder auch in die Gesetzgebung eingemischt. Als Mitglied des katholisch-fundamentalistischen Geheimbunds „Opus Dei“ hält er das für seine Pflicht, denn er ist überzeugt, daß Parlament und Volk keine Gesetze verabschieden dürfen, die gegen „Gottes Naturgesetze verstoßen“ – wie zum Beispiel die Legalisierung der Homosexualität und des Verkaufs von Kondomen. „Diese Kondomautomaten mit ihrem widerlichen Inhalt sind ein Freibrief für Freizügigkeit und Promiskuität“, sagte er im vergangenen Jahr.

Jetzt hat sich der gottesfürchtige Richter wieder zu Wort gemeldet: Das Gesetz über Abtreibungsinformation, das dem Dubliner Parlament gestern in erster Lesung vorgelegt wurde, sei verfassungswidrig, weil es „furchtbaren Verbrechen“ den Weg ebne. Würde er zu diesem Thema schweigen, so würde er sich genauso schuldig machen wie „ein Richter im Nazi- Deutschland der dreißiger und vierziger Jahre, der zu dem Holocaust“ geschwiegen habe.

O'Hanlons Einmischung ist der jüngste Höhepunkt in der Abtreibungsdebatte, die seit zwölf Jahren in Irland tobt. 1983 hatten die IrInnen mit Zweidrittelmehrheit dafür gestimmt, das gesetzlich bestehende Abtreibungsverbot in die Verfassung aufzunehmen. Neun Jahre später sprach sich bei Meinungsumfragen eine ebenso deutliche Mehrheit dafür aus, einer 14jährigen, die bei einer Vergewaltigung schwanger geworden war, die Ausreise zur Abtreibung nach England zu erlauben. Der Fall ging um die ganze Welt: Ein irisches Gericht hatte zunächst ein Ausreiseverbot verhängt, das erst vom obersten Gerichtshof aufgehoben wurde. Dem Mädchen wurde die Entscheidung schließlich abgenommen: Es erlitt eine Fehlgeburt. Der Fall hatte Konsequenzen: In einem Referendum stimmte eine Mehrheit dafür, schwangeren Frauen die Reisefreiheit zu garantieren und Informationen über Abtreibungsmöglichkeiten im Ausland freizugeben. Bis dahin hatte man sich bereits strafbar gemacht, wenn man die Telefonnummer einer englischen Abtreibungsklinik weitergab, irische Ausgaben englischer Zeitschriften mußten entsprechende Stellen schwärzen.

Um diese Informationsfreiheit geht es in dem neuen Gesetz. Da das Thema die Bevölkerung gespalten hat und sich keine Regierung die Finger verbrennen will, ist der Text so schwammig formuliert, daß er von beiden Seiten in der Debatte abgelehnt wird. Frauengruppen fürchten, daß ÄrztInnen strafrechtlich verfolgt werden können, wenn sie Frauen an Abtreibungskliniken im Ausland überweisen, die selbsternannten Lebensschützer laufen Sturm dagegen, daß Schwangere überhaupt von der Existenz solcher Kliniken informiert werden dürfen.

Auf ihrer Seite finden sich nicht nur alte Männer wie Richter O'Hanlon. Auch viele junge Leute schließen sich an, Naimh Nic Mathuna ist eine von ihnen. Die 23jährige ist Mitbegründerin und Vorsitzende von „Youth Defence“, einer extremen konservativen Jugendorganisation, die in der Abtreibungsfrage auch vor militanten Aktionen nicht zurückschreckt. Youth Defence hat rund 4.000 Mitglieder, zwei Drittel davon Frauen. Dank massive Werbung an Schulen sind die meisten neuen Mitglieder keine 18 Jahre alt. Die Taktik kommt aus den USA: lautstarke Demonstrationen vor Kliniken, vor dem Parlament und vor den Häusern von PolitikerInnen. Mitleid mit den Ärzten und Krankenschwestern, die in den USA von Abtreibungsgegnern ermordet wurden, haben sie nicht: „Die Zeitungsberichte über fünf Menschen, die in den vergangenen paar Jahren getötet wurden, sind ein Witz“, sagt Nic Mathuna, „seit Legalisierung der Abtreibung sind in den USA 33 Millionen Kinder getötet worden. Wo bleiben die Schlagzeilen darüber?“

Als Demonstrationsredner bewies ihr Schwager noch deutlicher, daß für rationale Argumente kein Platz ist. „Ich habe selbst gesehen, wie Kinder getötet wurden“, rief O'Domhnaill, der sich in Nordirland zum Chirurgen ausbilden läßt, „die Abtreibungsärzte ziehen das Kind bis zum Hals heraus und köpfen es dann. Der Massenmörder Jeffrey Dahmer hat das gleiche getan, er hat seine Opfer geköpft. Und dann hat er sie gegessen.“