Mexikos Armee rückt ein bißchen ab

Sechs Wochen nach Beginn der Militäroffensive in Chiapas zieht sich das Militär aus einigen der besetzten Dörfer zurück / Die Verhandlungen könnten wieder in Gang kommen  ■ Aus Mexiko-Stadt Anne Huffschmid

Gerade mal fünf Wochen nachdem Präsident Zedillo zur Attacke auf die Zapatistenguerilla EZLN geblasen hatte, sucht er jetzt offensichtlich wieder den „Dialog“ mit den „Kriminellen“ und „Terroristen“ aus dem chiapanekischen Hinterland. Vor einer Woche hatte Innenminister Moctezuma angekündigt, daß die Armee sämtliche Kontrollpunkte in der Konfliktzone abbauen und sich aus den besetzten Dörfern im Lacandonen- Urwald zurückziehen werde; außerdem würden ab sofort die Haftbefehle gegen die fünf ZapatistenführerInnen – darunter auch der famose Subcomandante Marcos – aufgehoben.

Tatsächlich räumen die Regierungssoldaten derzeit, wenn auch mit mehreren Tagen Verspätung, nach und nach ihre Stellungen im ehemaligen Zapatistengebiet. Eine wirkliche Entspannung der Region sei allerdings noch nicht in Sicht, berichten Mitglieder der parteiübergreifenden „Befriedungskommission“ COCOPA, die Ende letzter Woche per Hubschrauber die Lage vor Ort inspizierten; auch seien noch längst nicht alle Militärkontrollpunkte abgebaut. Und ohnehin will sich die Bundesarmee nicht gänzlich aus Chiapas zurückziehen, wie es EZLN und Nichtregierungsorganisationen wiederholt gefordert hatten: Man werde sich „am Rande“ der Konfliktzone bereithalten, erklärte das Innenministerium.

Auch die EZLN hat sich mittlerweile zurückgemeldet. Nach zwei fehlgeschlagenen Versuchen, den hermetischen Kessel der Armee zu durchbrechen, gelang es ihr Ende vergangener Woche, der Presse in San Cristóbal zwei Erklärungen zukommen zu lassen. Darin kritisiert sie das am 9. März verabschiedete „Gesetz für den Dialog, die Versöhnung und den würdigen Frieden“ als „unbefriedigend“: Das Gesetz habe Lücken, die es den Streitkräften nach wie vor ermöglichten, der Guerilla „unwürdige Bedingungen“ für den vielbeschworenen Dialog aufzuzwingen. Dennoch, so räumt die Zapatistenführung ein, sei die Initiative insgesamt ein „wichtiger Ausgangspunkt“ für eine „gerechte Lösung“ des Konflikts. Auf Drängen der Zapatisten hatte man u.a. die Anerkennung der unabhängigen Vermittlungskommission CONAI – unter Leitung von Bischof Samuel Ruiz – als „alleiniger Vermittlungsinstanz“ in den ursprünglichen Gesetzestext aufgenommen und auf die Vorbedingung der Entwaffnung ihrer künftigen Dialogpartner verzichtet.

In direkten Kontakt mit den Regierungsvertretern werde man allerdings erst dann treten, wenn die Armee zu ihren Stellungen vor der Offensive vom 9. Februar zurückgekehrt sei. Solange müsse man sich mit einem von der CONAI vermittelten „brieflichen Dialog“ begnügen.

Die BewohnerInnen des sogenannten Konfliktgebietes, die vor Wochen ihre Dörfer zu Tausenden aus Angst vor den anrückenden Armee-Einheiten fluchtartig verlassen hatten, trauen dem militärischen Kurswechsel offenbar noch lange nicht. Nur „sehr wenige“ seien bislang in ihre – zumeist von der Armee völlig zerstörten – Hütten zurückgekehrt, informieren Reporter vor Ort. Die meisten von ihnen seien derart verängstigt, sagt Bischof Samuel Ruiz, daß sie erst zurückkommen wollen, wenn die Armee sich tatsächlich „weitläufig“ zurückgezogen habe.

Wie Teilnehmer einer Zivilen Mission zur Information berichten, sei es den Regierungssoldaten außerdem gelungen, die verschreckte Zivilbevölkerung in Helfershelfer und mutmaßliche Zapatisten zu „spalten“. Erstere würden von der Armee für ihre „Mithilfe“ großzügig entlohnt, während die „anderen“ weiterhin in den Wäldern unter „katastrophalen Bedingungen“ um ihr Überleben kämpften.

Unterdessen haben die Viehzüchter und Großgrundbesitzer in Chiapas nichts Besseres zu tun, als wieder einmal den Rücktritt von Bischof Samuel Ruiz zu fordern. In einer Erklärung der sogenannten „Bürgerfront von San Cristóbal“ heißt es, der Bischof solle zurücktreten, dann könne er sich voll und ganz seiner Aufgabe als Vermittler zwischen Regierung und Guerilla widmen. Den ehrenwerten Bürgern gilt der Bischof seit langem als „Zapatist“ und „Kommunist“.

Unabhängige Solidaritätskomitees sammeln gegenwärtig Lebensmittel, Kleider und Medikamente und organisieren Hilfskarawanen in das Krisengebiet. Auch für die Freilassung diverser „politischer Gefangener“ – wie des Menschenrechtlers Jorge Santiago – engagieren sich derzeit zahlreiche Gruppen und Persönlichkeiten aus In- und Ausland, so etwa Hollywood-Regisseur Oliver Stone und der ehemalige US-Justizminister Ramsey Clark.

An einer Solidaritätskarawane, die am Sonntag in San Cristóbal eintreffen soll, nehmen auch SolidaritätsaktivistInnen aus Dänemark, England, Spanien und Deutschland teil. Kontakt: Edition Nautilus, Tel.: 040/7213536