Keine Experimente mehr

Freiburger Modellprojekt zur Müllverrottung aufgrund technischer Probleme abgeblasen / Große Freude bei den Müllverbrennern  ■ Aus Freiburg Manfred Sing

Für die Müllverbrenner der Republik ist die Welt wieder in Ordnung und der Markt bestellt. Als Punktsieg verbuchen sie das Ende der sogenannten kalten Rotte in Freiburg. Das Modellprojekt für eine biologische Abfallbehandlung ereilte noch vor der Inbetriebnahme das Aus. Die Freude darüber eint auch die müllgeplagten Kommunen im Südwesten.

Die Stadt Freiburg habe aufs falsche Pferd gesetzt, verkünden in Ulm genüßlich der dortige CDU- Landrat und der SPD-Oberbürgermeister in einer Reihe von Anzeigen und Erklärungen in der Lokalpresse. Den Schwaben, die gerade ein Müllheizkraftwerk bauen, wurde von den Verbrennungsgegnern immer das badisch-biologische Modell als intelligentere und billigere Lösung vorgehalten.

Vorbei ist es mit der Vorbildfunktion: Freiburgs grüner Umweltbürgermeister Peter Heller legte im Februar alle Pläne auf Eis. Seitdem ruht die Sache, und der Gemeinderat, der am Dienstagabend über das weitere Vorgehen hätte entscheiden sollen, vertagte sich auf Anfang Mai. Klar ist jedenfalls, daß die Verwaltung aus dem Vorzeigeprojekt aussteigen und „eine bewährte, praxiserprobte“ Rotte-Technik suchen will. „Keine Experimente mehr“, verspricht Oberbürgermeister Rolf Böhme seinen BürgerInnen. Mit dieser Einstellung dürfte es schwer werden, eine andere Lösung mit einer biologisch-mechanischen Anlage (BMA) zu finden, denn ohne weitere Forschung geht abseits der Verbrennungstrampelpfade kaum etwas. Nach dem Freiburger Ausstieg sieht ein Sprecher der Ingenieursfirma die Felle davonschwimmen: „Andere Städte überlegen sich jetzt dreimal, ob sie in biologische Verfahren einsteigen sollen.“

Gescheitert ist das Vorzeigeprojekt in erster Linie an seinen großtechnischen Ausmaßen (siehe Kasten). 5,8 Millionen Mark haben die Pläne die Stadt gekostet, ehe Experten und Regierungspräsidium die Anlage im jetzigen Zustand für nicht genehmigungsfähig erklärten. Wenn die Rotte nie gebaut wird, kann das Geld nicht einmal über Gebühren von den BürgerInnen eingetrieben werden.

Nicht einzuhalten ist mit einer BMA außerdem eine der Vorgaben in der TA (Technischen Anleitung) Siedlungsabfall: der „Glühverlust“. Ab 2005 darf Müll demnach nur noch deponiert werden, wenn durch einen Kohlenstoff- Test bei 550 Grad Hitze bewiesen wird, daß sich kaum noch organische Stoffe darin befinden. Mit dem kompostartigen Produkt der kalten Rotte ist das nicht zu erreichen, sehr wohl aber mit der Verbrennung. Kommunen mit einer Bio-Müllbehandlung müssen deshalb dann eine Ausnahmegenehmigung beantragen. Für Umweltverbände ist der „Glühverlust“ denn auch nichts anderes als ein Lobbyisten-Parameter für die Verbrennung, und sie drängen auf seine Streichung.

Vor all solchen Ungewißheiten sind Kommunen gefeit, die auf eine klassische Müllverbrennungsanlage oder deren neue Varianten wie Schwelbrennverfahren oder Thermoselect setzen. Die Forschung wird von der Industrie besorgt, im Verbund mit den Stromkonzernen, die das große Geschäft wittern. Die hohen Baukosten werden per Gebührenbescheid auf die MüllbürgerInnen umgelegt.

Die Verbrennung läßt den Rubel rollen: Auf 352 Millionen Mark Baukosten wird der Müllofen in Ulm geschätzt, jede Jahrestonne Kapazität kostet 3.500 Mark. Die künftigen Betriebskosten für jede verbrannte Tonne werden auf 644 bis 966 Mark taxiert – je nach Auslastung: Je weniger Müll angeliefert wird, desto teurer wird's. Thermoselect wirbt derzeit mit etwa halb so hohen Kosten. Die Planzahlen der Kalte-Rotte-Anlagen, zum Beispiel in Niedersachsen, erreichen bei den Investitionen nur ein Drittel der Verbrennung, etwa 1.200 für jede Jahrestonne, und bei den Betriebskosten voraussichtlich 200 Mark je Tonne. Noch einmal fast ein Drittel günstiger wäre das Freiburger Projekt ausgefallen: 440 Mark hätte die Stadt für den Bau jeder Tonne Kapazität ausgeben müssen.

Dennoch, die Freiburger Opposition aus CDU und FDP, die die BMA bis dahin weitgehehend mitgetragen hat, spricht heute von Geldverschwendung und fordert den Rücktritt des grünen Bürgermeisters. Sie wollen nun gar keine Müllbehandlungsanlage mehr bauen, obwohl die Deponie undicht ist.

„Ich sehe keine Realisierungschance mehr für eine andere BMA“, sagt Heinz-Dieter Bergner vom Freiburger Müllforum, der sich jahrelang für den BMA-Versuch eingesetzt hat und sich jetzt von Hellers Entscheidung übergangen fühlt. Statt dessen schlägt der BMA-Aktivist vor, die Haufen des Pilotprojekts von bisher neun auf vier Meter Höhe zu verringern: „Das ist die kritische Grenze.“

Die Niederlage der Rotte-Technik in Freiburg ist ohnehin besiegelt, wenn sich vertraglich nichts Grundsätzliches ändert: Ab 2005 muß der Landkreis Breisgau- Hochschwarzwald der Stadt den Müll abnehmen, im Gegenzug dafür, daß Freiburg zur Zeit dem Kreis aushilft.

Für die Technik ihrer künftigen Abfallanlage haben sich die Kreisräte bereits zwei heiße Favoriten ausgeschaut: Thermoselect oder Schwelbrennverfahren. Badenwerk und Energieversorgung Schwaben, jetzt zu einem Konzern vereint, sei Dank.