Nun kann nur noch Genschman helfen

■ FDP-Chef Klaus Kinkel tritt zurück / „FDP braucht eine neue Chance durch einen Neuanfang“

Bonn (taz) – „Aufgeben kommt nicht in Frage“, hatte er Anfang der Woche nach den verheerenden Wahlniederlagen in NRW und Bremen noch vollmundig verkündet. Nun hat Klaus Kinkel es doch getan. Gestern verkündete der FDP-Chef blaß und mit zusammengekniffenen Augen, daß er bei dem bevorstehenden Parteitag in drei Wochen in Mainz nicht mehr für das Amt des Vorsitzenden kandidieren werde. Die FDP braucht „nach den schweren Monaten eine neue Chance durch einen Neuanfang“. Kinkel zeigte sich überzeugt, daß die FDP aus der Misere herauskommen würde. Er wolle nun seine Kraft auf seine Aufgaben als Außenminister und Vizekanzler konzentrieren. Vor Kinkels Presseauftritt hatte das Parteipräsidium in einer Sondersitzung getagt.

Über einen Nachfolger wollte Kinkel nicht spekulieren. Darüber sei im Präsidium auch noch nicht gesprochen worden. „Ich kann und will die Beratungen nicht vorwegnehmen und keine Empfehlung aussprechen“, sagte Kinkel. Aber wer auch immer das Amt antrete, könne mit seiner vollen Unterstützung rechnen. In FDP-Kreisen gelten Walter Döring, Chef der FPD-Fraktion im baden-württembergischen Landtag, und der hessische Landesvorsitzende Wolfgang Gerhardt als Favoriten.

„Ich wollte das Gesetz des Handelns nicht aus der Hand geben, und es gibt Situationen, da muß man das Gesetz des Handelns an sich reißen“, begründete Kinkel gestern seinen Sinneswandel, entgegen allen Beteuerungen doch auf eine erneute Kandidatur zu verzichten. Dennoch fühle er sich von der Basis nicht im Stich gelassen. Vielmehr habe er „großes Verständnis für die Enttäuschung derer, die vor Ort gekämpft haben“.

Unter Hinweis auf das Wahldebakel vom Wochenende in NRW und Bremen betonte Kinkel, er habe „sich persönlich nichts vorzuwerfen“. Er trage aber als Parteivorsitzender die Gesamtverantwortung für die Partei und für ihre Niederlagen.

Vor der versammelten Presse beeilte sich Generalsekretär Guido Westerwelle zu betonen, daß das FDP-Präsidium Kinkel „einstimmig gebeten“ habe, das Amt des Vizekanzlers und des Außenministers der Bundesrepublik Deutschland zu behalten. Die Präsidiumsmitglieder hätten Kinkels Entscheidung „mit Respekt aufgenommen“. Neben den Parteikollegen hatte Kinkel CSU- Fraktionsvorsitzenden Theo Waigel, Bundeskanzler Helmut Kohl und den Vorsitzenden der Unionsfraktion im Bundestag, Wolfgang Schäuble, von seinem Schritt unterrichtet.

Mit seiner Entscheidung ist Kinkel gestern den Liberalen gefolgt, die schon in den vergangenen Tagen hinter verschlossenen Türen gefordert hatten, er solle den Weg freimachen für einen „personellen und inhaltlichen Neuanfang“. In der Öffentlichkeit war Kinkel in den vergangenen Tagen weitgehend von Kritik verschont geblieben.

Nach den Wahlniederlagen vom vergangenen Wochenende wurde in Bonn erst einmal Einigkeit demonstriert. In der Vorstandssitzung am Montag hatte nach Auskunft eines Teilnehmers „kein einziger von Kinkel persönliche Konsequenzen gefordert“. Statt einer Personaldebatte führten die Liberalen eine heftige Diskussion um ein neues Profil der Partei. Rufe nach neuen Themen wurden laut. Die Liberalen müßten Fragen der Bürgerrechte, des Umweltschutzes und der Zukunftssicherung zu ihren Positionen machen, anstatt sich als „Partei der Besserverdienenden“ lediglich der Steuerpolitik und den Interessen des Mittelstandes zu widmen. Lediglich die Landesverbände Niedersachsen, Mecklenburg-Vorpommern und Thüringen hatten bereits öffentlich über einen neuen Parteivorstand diskutiert.

Karin Nink Seite 2