■ Der Bundestag entscheidet über das neue Abtreibungsrecht
: In 20 Jahren wenig gelernt

Das hätten sie doch einfacher haben können, die Damen und Herren Sozialdemokraten und die der Regierungsfraktionen im Bundestag. Denn was ihren jetzigen Kompromiß zum Abtreibungsrecht ausmacht, hätten sie in weiten Teilen schon im Mai 1993 aus dem Urteil des Bundesverfassungsgerichtes abschreiben können. Wenn sich also heute im Bundestag eine Mehrheit von SPD, FDP und Union für die neue Regelung des Paragraphen 218 entscheidet, dann setzen die Abgeordneten damit einen Schlußstrich unter drei Jahre ideologischen Streits um Lebensrecht und Selbstbestimmung. Endlich, kann frau da eigentlich nur noch sagen.

Was aber verändert sich mit dem neuen Abtreibungsrecht? Zunächst einmal der Gesetzesname: Was noch im Sommer 1992 als gesamtdeutsches „Gesetz über Aufklärung, Verhütung, Familienplanung und Beratung“ von einer großen Parlamentsmehrheit verabschiedet worden war, heißt künftig kurz und bündig „Schwangerschaftskonfliktgesetz“. Schon der Name zeigt: wenig gelernt. Immerhin sind seit den ersten Liberalisierungsversuchen des Abtreibungsrechts im Westen mehr als zwanzig Jahre vergangen.

Der Fall der Berliner Mauer weckte neue Hoffnungen. Sowohl die Reformerinnen als auch die Lebensschützer witterten ihre Chance. Zwei Republiken wurden zu einer neuen deutschen Republik – und zweierlei Abtreibungsrecht konnte und durfte nicht sein. Die einen hofften auf eine Lösung nahe der Rechtsrealität der ehemaligen DDR. Immerhin galt dort seit den 70er Jahren die Fristenregelung ohne jeglichen Seelenstriptease für die Frau. Die anderen plädierten für eine verschärfte Westvariante. Hier hatten Frauen jahrelange Erfahrung mit vielerlei Indikationen und zwangsweiser Beratung machen können. Vor allem die soziale Indikation, die den Schwangerschaftsabbruch in sozialen Notlagen erlaubte, war den Christlichen ein Dorn im Auge.

Zu Beginn der Reform ließ sich alles noch gut an. Mit einer großen Mehrheit von SPD, FDP und CDU/ CSU beschloß der Bundestag im Juli 1992 eine Fristenregelung für Gesamtdeutschland. Danach durften Frauen innerhalb der ersten zwölf Wochen einer Schwangerschaft abtreiben – egal aus welchem Grund. Die Westvariante der sozialen Indikation konnte getrost entfallen. Getrübt wurde das Gesetz nur durch die vorgeschriebene Zwangsberatung – ein Zugeständnis an die besorgten christdemokratischen und -sozialen Damen und Herren, die Frauen bei ihrer Entscheidung in der Regel Verantwortungslosigkeit unterstellen. Als ob eine Schwangere sich im Zweifelsfall nicht auch freiwillig beraten ließe.

Das Gesetz trat jedoch nie in Kraft. Dafür sorgten die bayerische CSU und die Hardliner der CDU. Das Bundesverfassungsgericht wurde wieder einmal bemüht, um Politik zu korrigieren. Und die Karlsruher Richter plus Richterin trafen eigene politische Entscheidungen. Die Finanzierung des Schwangerschaftsabbruchs durch die Krankenkassen fiel. Dem Gesetzgeber wurde vorgeschrieben, dem „Schutz des ungeborenen Lebens“ mehr Raum zu geben.

Spätestens seit diesem Urteil ist eigentlich alles klar. Wer hat denn wirklich ernsthaft angenommen, daß danach noch ein reformfreudiges, liberales Abtreibungsrecht in der vereinten Republik entsteht? Selbst die Sozialdemokratinnen machten ja zu guter Letzt eine tiefe Verbeugung vor dem Urteil des Bundesverfassungsgerichtes und erklärten sich damit einverstanden, ganze Passagen des Urteils wortwörtlich zu übernehmen. Immerhin drohte erneut das Damoklesschwert Karlsruhe. Heraus kam am Ende sehr Widersprüchliches. Im Strafrecht betont der Paragraph 219 unmißverständlich: „Die Beratung dient dem Schutz des ungeborenen Lebens.“ Ihr Ziel soll es sein, „die Frau zur Fortsetzung ihrer Schwangerschaft zu ermutigen“. An anderer Stelle, nämlich dort, wo die Aufgaben der Beratungsstelle im Detail formuliert sind, wurden liberalere Vorstellungen durchgesetzt. Da heißt es, daß die Beratung „ergebnisoffen zu führen“ ist. Sie soll „ermutigen und Verständnis wecken, nicht belehren oder bevormunden“. Warum diese Doppeldeutigkeit in ein und demselben Gesetz? Warum kann der Gesetzgeber auf solche ideologisch verbrämten Formulierungen wie im Paragraphen 219 nicht verzichten? Mit der Logik des Strafrechts hat dieser Paragraph nichts zu tun. Er huldigt allein dem Leben des Fötus. Nirgends findet sich auch nur eine Andeutung dessen, daß es ein Selbstbestimmungsrecht der Frau gibt.

Und noch eine juristische Spitzfindigkeit findet sich in dem kurz vor seiner Vollendung stehenden Gesetzeswerk. Es unterscheidet zwischen ganz legalen Abtreibungen und rechtswidrigen Schwangerschaftsabbrüchen. Legal ist der Abbruch nach einer Vergewaltigung und dann, wenn das Leben der Frau durch die Schwangerschaft gefährdet ist. Nur hier finanziert die Krankenkasse den medizinischen Eingriff. Will eine Schwangere ohne diese Indikationen abtreiben, so kann sie das innerhalb der ersten zwölf Wochen immer tun und wird nicht bestraft. Rechtswidrig bleibt ihre Handlung dennoch. Und Rechtswidrigkeiten bezahlt keine Kasse. Nur bedürftige Frauen können mit staatlicher Unterstützung rechnen. So fixiert Rechtsschreibung Moralvorstellungen – und legt ganz nebenbei den finanziellen Rahmen fest. Karin Flothmann