Press-Schlag
: Dichter oder nicht dicht?

■ Fußballer Klinsmann war in der Heimat, weil der gute alte Blickensdörfer ihn schöner geschrieben hat

„Schönes Erlebnis“: Bub Klinsmann Foto: Bongarts

Jürgen Klinsmann war einmal, interessehalber, einen Nachmittag lang im Jugendknast von Adelsheim bei Heilbronn. Das habe ihm „mehr gebracht als ein Dutzend Autogrammstunden“, sagte er anschließend. Schön für ihn und uns, zeigt es doch, daß hier ein Mensch spricht und kein Fußballer. Jürgen Klinsmann ist 31 Jahre alt und ein guter Fußballspieler. Einer der besten hierzulande und hierzurzeit. Und er ist ein netter Bub, der um so netter ist, weil alle anderen Fußballer um so arroganter sind.

Klinsi ist der anständige Mensch von Geislingen geblieben, der er immer war, und darum fährt er auch heute noch in seinem alten VW-Cabrio herum. Wir sind gerührt. Aber, um Himmelswillen, Herr Blickensdörfer, muß man deshalb gleich ein 216 Seiten dickes Buch über ihn schreiben!?! (Hans Blickensdörfer: „Jürgen Klinsmann“, Engelhorn-Verlag Stuttgart, 39,80 Mark)

Das Faszinierende an Hans Blickensdörfers Buch ist, daß es auf Seite 3 noch nicht zu Ende ist. Wie der Mann, der immerhin auch schon veritable Erzählungen (eigentlich eingeschränkt eine: „Die Baskenmütze“) geschrieben hat, also wie der das macht, immer weiter und weiter und weiter zu schreiben, ist schon beeindruckend.

Wie sehr der im Sportjournalismus altgewordene Blickensdörfer (72) sich da angestrengt haben muß, läßt sich an den Titeln ablesen, die er seinem Duzfreund Jürgen auf besagten 216 Seiten verpaßt: Ein „zum Weltmann gewordener schwäbischer Älbler“, sei er, ein „Bandenchef“ gar, die „Speerspitze“, ein „Traumtänzer“ natürlich, mit dem „Instinkt für den richtigen Paß“, ein „Vollendertyp“ ohne Zweifel und dabei auch noch ein „Paradebeispiel“, ja ein „Siegfriedtyp“, ein „Glücksfall“, eine „Lichtgestalt“, eine „Ausnahmeerscheinung“ ... Sagen Sie, Herr Blickensdörfer, sind Sie noch ganz dicht?

Und weil über Klinsmann damit schon alles gesagt ist, hält sich Blickensdörfer mit den Fußballregeln auf, fabuliert darüber, daß im Norden Londons ein anderer Fußball gespielt wird als im Süden Mailands. Oder der gute alte Hans läßt uns gar an seinen Altersphantasien teilhaben: In London will er nämlich beobachtet haben, wie junge Engländerinnen „mit beträchtlicher Oberweite“ dem Klinsmann „Offerten von unüberbietbarer Eindeutigkeit“ machten und sich „nicht nur kleine Backfische von ihm braten lassen“ wollten. Auweia!

Hätte er doch lieber ein Buch über Jürgens Vater, den Bäckermeister aus Botnang, geschrieben! Dieser Siegfried hätte was zu erzählen aus dem Leben. Wie er aus Frankfurt an der Oder abgehauen ist. Wie er im Schwabenländle erst kleine und dann immer größere Brötchen gebacken hat. Das eben hat der Sohn nicht. Gut, Jürgen hat in Mailand, in Monaco und in London Fußball gespielt und Tore geschossen. Ist ja recht so. Aber nach 90 Minuten ist das Spiel aus und die Spannung vorbei. Zwischen zwei Buchdeckeln kan man sie nicht aufbewahren.

Am Donnerstag stellten Klinsmann und „sein Biograph“ das Buch im Stuttgarter Kaufhaus Breuninger vor, und am Rande erfuhr man denn auch, warum dieses Ding überhaupt geschrieben werden mußte. Klinsmann ärgerte sich nämlich sehr darüber, „daß andere immer über mich schreiben, ohne mit mir zu reden“. Ach so.

Möglicherweise aber werden bessere Bücher geschrieben über Leute, mit denen man nie geredet hat. Möglicherweise. Jedenfalls ist jetzt Jürgen Klinsmann „unheimlich stolz“ darauf, wie Blickensdörfer „unheimlich schön“ das alles zusammengefaßt hat und es so für ihn zu einem „unheimlich schönen Erlebnis“ wurde. Das wurde es auch im Anschluß an die Buchvorstellung für mehrere hundert kleine Stuttgarterlein, die sich bei ihrem Idol ein Autogramm holen durften. Wahrscheinlich hat Jürgen in diesen Momenten wieder ans Gefängnis gedacht. Philipp Maußhardt