„Danke für diesen schönen Verriß“

Der Berliner Choreograph Johann Kresnik ist selig: In Mexiko-Stadt provozierte er mit „Frida Kahlo“  ■ Von Anne Huffschmid

Auf ein „wunderbares Glatteis“ habe er sich wohl begeben, meinte der Choreograph Johann Kresnik noch kurz vor der Premiere seiner „Frida Kahlo“-Inszenierung in Mexiko-Stadt. In der Tat: Zwar ist die legendäre Invalidin wie Che und Marilyn längst zur internationalen Popikone geworden, in ihrer Heimat jedoch wird sie immer noch als Heiligtum gehütet, an dem sich AusländerInnen immer wieder mal versuchen – und allzuoft vergreifen.

„Ach Frida“, seufzt der Dramaturg Victor Hugo Rascón Banda, „wie viele künstlerische Verbrechen sind in deinem Namen begangen worden.“ Das Theater um und über die Kahlo beschränke sich oft auf folkloristische Abziehbilder, auf theatralische Pseudo-Psychoanalyse. Kresniks Inszenierung indes wurde in Mexiko-Stadt kein Reinfall. Dabei mangelt es dem knallbunten Bilderreigen durchaus an Respekt für die nationalen Mythen: Frida einbeinig und Frida sturzbetrunken, Frida, die ihre abgetriebenen Föten leckt. Der berühmte Wandmaler Diego Rivera als infantiler Teddybär, der gelegentlich ein wenig blaue Farbe an der zitronengelben Wand verteilt. Die Boheme-Schickeria als gefräßige Sippe, die der Sterbenden das Kreppgewand vom Leibe reißt. Und schließlich Trotzki: ein lüsterner Greis, der unaufhörlich Papier erbricht, seine ergebene Gattin malträtiert und die Kahlo umgarnt, während seine Fans die papiernen Ausscheidungen brav aus Blechnäpfen fressen.

Aber es ist wohl gerade die respektlose Unbefangenheit, mit der sich Kresnik die Fridasche Vita einverleibt hat, die den MexikanerInnen imponierte. Während deutsche KritikerInnen zuweilen dem Irrtum verfallen waren, die Inszenierung an der Berliner Volksbühne für eine überaus – für manche sogar übertrieben – realistische Bebilderung der Biographie zu halten, besteht für die KollegInnen aus Übersee gar kein Zweifel am fiktiven Charakter. Übrigens die einzige Möglichkeit, sich in Zeiten der verbreiteten „Fridomanie“ dem ausgeweideten Leide-Mythos überhaupt noch zu nähern.

„Was heute mit Frida passiert“, meint Rascón Banda, einer der führenden Theatermacher Mexikos, „ist dasselbe, was 1492 mit Amerika geschehen ist. Die Europäer haben Amerika erfunden. Heute werden wir zu Zeugen der Erfindung von Frida.“ Und was sei schon dabei? „Jedem seine Frida“, skandiert er grinsend.

Andere Länder, andere Blicke: In Deutschland hatte man sich über die ungewohnte Zartheit und Zärtlichkeit der Kresnikschen Frida gewundert und diese etwas vorschnell als Einstieg in ein versöhnlicheres Alterswerk interpretiert, in Mexiko wurde sie als Attacke auf den guten Geschmack gesehen. „Und ich gestehe“, so Rascón Banda begeistert, „ich bin dieser groben, gewaltsamen, schrecklichen und unflätigen Frida verfallen.“

Sein Lob steht in eigentümlichem Kontrast zur gelangweilten Abgeklärtheit, mit der das deutsche Feuilleton die Stücke ihres Lieblingsberserkers mittlerweile zur Kenntnis nimmt. „Man ist vielleicht nicht mit allem einverstanden, aber man bleibt nicht immun. Das Spektakel kann Ablehnung, Empörung, Ärger, Unbehagen hervorrufen, aber niemals Indifferenz. Und was anderes ist die Kunst?“ fragt Rascón Banda.

Nicht alle freilich gestehen dem Gast die Freiheit zur Neuerfindung zu. Die große alte Dame der heimischen Kunstkritik, Raquel Tibol, eine Art mexikanische Reich-Ranicki, ist empört. Bei einer Podiumsdiskussion klärt sie den Besucher zunächst über eine Reihe von „Fehlern“ auf – in Mexiko verwende man keine Steppdecken, und Diego habe bei der Arbeit niemals Wassermelone gegessen oder gar mit Spielzeugpistolen herumgeschossen – und bedenkt diverse Szenen mit den Prädikaten „grobschlächtig“, „schlecht“ oder gar gänzlich „überflüssig“. Das eigentliche Problem aber sei „ideologischer“ Natur. Die Art, wie die geilen Bürgerskinder bei Kresnik um das seidene rote Banner tanzen und es sich lustvoll durch sämtliche Kleider- und Körperöffnungen ziehen, fand die Kritikerpäpstin „skandalös“. Auch Trotzki sei eine „bösartige und dumme Karikatur“, deren Lehren hier zur „Cocktail-Ideologie“ verbraten würden. Verkehrte Welt: Der „letzte Kämpfer des politischen Theaters“ (Spiegel) wird in der Neuen Welt als postmoderner Zyniker betrachtet.

Einige der „Enkelinnen Fridas“, wie bewegte Frauen sich hier zuweilen zu nennen pflegen, waren zudem empört über die „Macho- Vision“ des Stückes. Denn Frida erscheint bei Kresnik nicht als souveräne Künstlerin, sondern stets als Muse und Objekt ihrer Begierden – und ihrer eigenen Malerei.

„Frida hätte das Stück überhaupt nicht gefallen“, ereifert sich eine junge Kunststudentin im Theaterfoyer. Wieder einmal sei „ihr Leben wichtiger als ihr Schaffen“, kritisiert auch die Rezensentin Olga Harmony. Noch provozierender als die Entscheidung, die Kahlo nicht mit Pinseln, sondern mit einer Unzahl von Spiegeln zu umgeben – angesichts des autobiographischen Werkes eine zwar plakative, aber nun sicher nicht „machistische“ Metapher –, wirkte die Darstellung des Geliebten, Diego Rivera. Dieser tapst nicht nur als gutmütiger Tanzbär über die Bühne und ergötzt sich dabei permanent an Wein und Weibern, sondern wird zudem auch noch von einem hübschen Brasilianer gespielt – bekanntlich war „Frosch“ Diego, gelinde gesagt, ein eher unschönes Mannsbild. Der Kresniksche Blick auf den charmanten Lebenskünstler ist dabei fast schon feministisch inspiriert zu nennen: Immer wieder entschwindet der Maler, wenn's allzu eng wird, auf seine Hebebühne, läßt die Beine baumeln und schaut sich das Geschehen von oben an, wie unbeteiligt. Und Frida bleibt allein zurück.

Auch dieser schöne Einfall stimmt Kresniks KritikerInnen nicht versöhnlicher. Wie „einer unserer großen Wandmaler“ hier verunglimpft werde, komme einer „brutalen Deformierung“ gleich, ärgert sich die Tibol; wenige Tage später wird in einer großen Tageszeitung vom „folkloristischen und eurozentrischen“ Diego-Bild die Rede sein. Bevor der verblüffte Kresnik antworten kann, wird er schon in Schutz genommen. Die Schauspielerin Ofelio Medina, eine der bekanntesten Frida-Darstellerinnen, entschuldigt sich bei dem Gast für „den Kannibalismus der mexikanischen Kritik“.

Und ein bekannter Kulturjournalist erregt sich über die fehlende Souveränität im Umgang mit „unseren heiligen Kühen“. Der Choreograph selbst bleibt gelassen. „Ich danke für diesen wunderschönen Verriß“, bemerkt er galant zu der alten Dame an seiner Seite, „so bin ich überhaupt noch nicht in aller Öffentlichkeit zerrissen worden.“ Die KritikerInnen in Deutschland seien im allgemeinen „zu feige“, ihre Rezensionen schon am Tag nach der Aufführung zur Diskussion zu stellen.

Abends beim Gartenfest erläutert er die ungewohnte Sanftmut. Um Polemik sei es ihm doch gerade gegangen, und als Gast im Ausland habe man ja höflich zu bleiben. „In Deutschland hätte ich bei dieser Steppdeckentante natürlich gleich zurückgedonnert.“ Andererseits: „Wie hätten wir wohl reagiert, wenn irgend so ein Mexikaner ankäme und uns einen Nietzsche vorsetzen würde?“

Das Land scheint den Maestro jedenfalls inspiriert zu haben. Arbeiten will er hier, geplant ist ein Stück über die Ranchero-Legende Lucha Reyes, deren rauhe Stimme in den 40er Jahren im Alk ersoff. Und eine Oper. „Die wollen unbedingt, daß ich ihnen einen Wagner inszeniere“, erzählt er mit blitzenden Äuglein. Und schaut amüsiert seinen Leuten zu, die zur Mariachi- Kapelle „endlich mal richtig tanzen“ dürfen.