Ein parlamentarischer Untersuchungsausschuß prüft in Stuttgart den Steuerfall Graf. Haben Finanzbehörden unübliche Gnade walten lassen? Hat Finanzminister Mayer-Vorfelder dabei seine Finger im Spiel gehabt? Die Grünen meinen, ja. Der Minist

Ein parlamentarischer Untersuchungsausschuß prüft in Stuttgart den Steuerfall Graf. Haben Finanzbehörden unübliche Gnade walten lassen? Hat Finanzminister Mayer-Vorfelder dabei seine Finger im Spiel gehabt? Die Grünen meinen, ja. Der Minister aber, obwohl kein Heldentenor, sondern bloß ein Schlitzohr, prophezeit:

„Ich werde am Ende eine Jubel-Arie singen“

Seit über vier Wochen tagt im Stuttgarter Landtag der parlamentarische Untersuchungsausschuß zum Fall Graf. Aus der Sicht der SPD und der Grünen soll er klären, ob die Steuerbehörden gegenüber der prominenten Tennisspielerin gnädiger waren als gegenüber Normalbürgern. Und wenn das so gewesen wäre, ob dann Finanzminister Gerhard Mayer-Vorfelder (CDU) dabei seine Finger im Spiel hatte. Aus der Sicht der CDU soll der Ausschuß den gegenteiligen Beweis erbringen: daß die Finanzbehörden nicht gnädiger waren und Mayer-Vorfelder seine Finger nicht im Spiel hatte. Beide Seiten fühlen sich bislang bestätigt.

Zumindest eines ist seither herausgekommen: Ein neues Kürzel wurde bekannt – „MGV“ heißt das Zauberwort. Nicht etwa „Mayer- Gnadenreich-Vorfelder“ verbirgt sich hinter den drei Buchstaben, sondern die Steuerphilosophie des ehemaligen Präsidenten der Oberfinanzdirektion Karlsruhe, Dietrich Meyding. Der hatte seinen Untergebenen eingebläut, gegenüber den Steuerbürgern einen „maßvollen Gesetzesvollzug“ (MGV) walten zu lassen, was soviel hieß, wie: „Man muß auch mal den Mut haben, einem Steuerpflichtigen was zu glauben.“ Mit MGV im Kopf hätten seine Beamten auch den Fall Graf behandelt, bis sie schließlich gemerkt hätten, daß Vater Graf ein ausgebuffter Hund ist oder – um mit den Worten des ehemaligen Oberfinanzpräsidenten ein anderes Tier zu nennen – „eine Wildsau“ eben.

Meyding sagte in der vergangenen Woche im öffentlichen Teil des Ausschusses aus, dann wurden wieder die Türen geschlossen: Steuergeheimnis. Fast immer werden die Zuhörer ausgeschlossen, weil jeder Aktenvermerk eines Steuerprüfers unter die Geheimhaltung fällt. Kein Geheimnis ist jedoch die Überzeugung vieler Beobachter, daß der ins Kreuzfeuer von Grünen und SPD geratene Finanzminister Mayer-Vorfelder nicht über diesen Ausschuß stolpern wird. Er, dem man so viel zutraut, hat offensichtlich in diesem Fall nicht einmal durch Augenzwinkern Einfluß auf die Entscheidung der Steuerverwaltung genommen.

Zweimal hatte Mayer-Vorfelder überhaupt nur Kontakt mit Vati von Steffi. Das erste Mal im Juni 1986, als er – noch Kultusminister – der Sportlerin einen schönen Pokal überreichte. Und dann erst wieder neun Jahre später: Paps rief an und beschwerte sich, daß sein Büro soeben durchsucht worden sei. Dazwischen hat Mayer-Vorfelder nur ein Gespräch vermittelt, um die Steuerfragen zwischen den Grafs und der Finanzverwaltung zu klären.

Platzhirsch wütet gegen Großinquisitor

So unschuldig angegriffen fühlte sich der Mann noch nie. Das freut ihn auf der einen Seite, und so verkündet er erregt: „Ich werde am Ende eine Jubel-Arie singen.“ Und regt sich gleichzeitig furchtbar darüber auf, daß der fleißige und gut vorbereitete grüne Abgeordnete Reinhard Bütikofer ihn hartnäckig mit Fragen nervt. Da platzt dem Platzhirsch der Kragen und er ruft: „Sie sind ein Lügner!“ oder er nennt den Abgeordneten mal „Großinquisitor“ und mal „Herr Richter Bütikofer“.

Mayer-Vorfelder zitierte am Mittwoch vor dem Ausschuß aus lauter Wut sogar aus einem Brief, den Bütikofer vor einiger Zeit einmal an ihn geschrieben hatte. Darin hatte der Grüne um „Entgegenkommen“ für eine Frau gebeten, die mit dem Finanzamt in der Wolle lag. Da klatschen sich die CDU-Abgeordneten aber vor Freude auf die Schenkel. Ha, der also auch! Auch einer, der um Sonderbehandlung bittet ... Ansonsten sitzt die größte Abgeordnetengruppe, die der CDU, meist stumm im Ausschuß. Nur einer der fünf Parlamentarier hat je in die zur Einsicht ausliegenden Akten geschaut, deren Studium peinlich genau protokolliert wird.

Dabei gibt es jenseits von Mayer-Vorfelder genügend Punkte, die einem beim Lesen der Akten in Staunen versetzen. Warum zum Beispiel erteilten 1987 Beamte des Finanzministeriums der Firma Graf gute Ratschläge, wie sie mit der Gründung einer Briefkastenfirma in Holland Steuern sparen könne? Warum wurde die Steuerfahndung nicht spätestens 1991 in Marsch gesetzt, als aus den USA ein Bericht vorlag, wonach die Firma Graf enorme Gewinne an der Steuer vorbeischleust? Und warum einigten sich die Beamten der Oberfinanzdirektion Karlsruhe 1993 mit Grafs Anwälten auf eine großzügige Betriebskostenpauschale von 35 Prozent für die Millionärin Steffi?

Mayer-Vorfelder, ansonsten instinktsicher, fällt dazu nichts besseres ein, als immer wieder zu erklären: Seine Finanzbeamten hätten „keine gravierenden Fehler“ begangen. Genau da aber verkennt er, wie sehr sich gerade seine politische Klientel darüber aufregt, daß es vor dem Finanzamt Gleiche und Gleichere gibt. Die Gelegenheit, zumindest die Versäumnisse in der Oberfinanzdirektion Karlsruhe zu beklagen, hat Mayer-Vorfelder ungenutzt verstreichen lassen.

Der ganz, ganz große Ermessensspielraum

Im Gegenteil: Durch die Aufforderung an 40 mit dem Fall Graf befaßte Finanzbeamte zu einer „dienstlichen Äußerung“ mit dem vorhersehbaren Ergebnis, daß alle nur ihre Pflicht erfüllten, erweckte der Minister nur den Eindruck, die Behandlung der Promis aus Leimen sei völlig korrekt gelaufen. Fragt man die Mitarbeiter dagegen einmal „undienstlich“, bekommt man ein ganz anderes Bild.

Einer, der die Gepflogenheiten der Steuerbehörden gut kennt, ist Michael App, ehemaliger Sachbearbeiter in den Finanzämtern Mannheim, Karlsruhe und Pforzheim und kurze Zeit auch in der Oberfinanzdirektion in Karlsruhe. In einem Brief an die Staatsanwaltschaft Mannheim schildert App die Stimmungslage unter dem damaligen Präsidenten Meyding: „... So hatte es sich im OFD-Bezirk Karlsruhe eingebürgert, in vorauseilendem Gehorsam gegenüber dem Oberfinanzpräsidenten Ermessensspielräume zugunsten von Prominenten voll auszuschöpfen...“ (siehe Ausriß unten).

Ein anderer ehemaliger Mitarbeiter in der Oberfinanzdirektion Karlsruhe zeichnet ein ähnliches Bild. Meyding, Mitglied im Club der elitären Rotarier, hätte vor allem seine Freunde geschont. Zumindest hätten die Untergebenen darauf Rücksicht genommen. „Wenn man das weiß, da wird man vorsichtig, das ist doch menschlich.“

Spätestens 1991 hätten die Karlsruher bei Grafs „intensiv fragen müssen“, meint ein hoher Beamter des Bundesfinanzministeriums, was sie trotz Mahnungen aus Bonn nicht taten. „Wenn man es vornehm sagen möchte“, so der hohe Beamte, „dann haben die geschlafen.“

Ob Mayer-Vorfelder den Schlaf seiner Beamten nur einfach nicht wahrgenommen oder eben großzügig gefördert hat, darüber muß der Ausschuß noch befinden. Der ehemalige baden-württembergische Ministerpräsident Späth jedoch ist jetzt schon fein raus. Bei seiner gestrigen Anhörung vor dem Ausschuß bestätigte ihm sogar Reinhard Bütikofer: „Nach Durchsicht der Akten steht es für mich fest, daß es keine Deckung durch Sie gab.“ Gegen Späth gebe es keinerlei Vorwürfe. In Medienberichten war mehrfach über eine „Deckung von oben“ für den Steuerfall Graf und über ein Angebot Späths für eine „politische Lösung“ spekuliert worden. Späth wies gestern beides unter dem zustimmenden Gemurmel sämtlicher Parteienvertreter im Ausschuß zurück.

Im Februar, wenige Wochen vor der Landtagswahl in Baden- Württemberg, soll der Abschlußbericht des Untersuchungsausschusses vorliegen. Schon jetzt ist klar, daß sich die Mitglieder nicht auf ein gemeinsames Votum einigen werden. Die SPD wird wohl ein Sondervotum abgeben, weil sie weder das Abbügeln der Christdemokraten noch das Heißmangeln der Grünen mittragen will. Als Wahlkampfthema taugt dieser Ausschuß jedenfalls nicht. Philipp Maußhardt, Stuttgart