Sanssouci
: Nachschlag

■ Tisch-Gespräch

„Wenn Mecklenburg-Vorpommerns Tische reden könnten. Dieser Tisch kann es [...]. Seine Geschichten gewährt Einblicke in unsere Strukturen, unsere Zufälle, unsere Sehnsüchte [...].“ Was würden Sie bei einer solchen Selbstankündigung denken? Bei mir jedenfalls schrillten sämtliche Alarmklingeln. Vorsicht – Projektkünstlertum: Städter werfen einen ethnologischen Blick auf die Landbevölkerung, sahnen Fördergelder ab und laden zum Ausgleich drei Dörfler zur Vorstellung ein. Zum Glück kam alles anders. Der Tisch, ein besonderer Tisch, nämlich der im gelben Zimmer zu Loitz in Pommern, dient im Laufe der Jahre als Stammtisch, Geburtstisch und Schreibtisch, bis er nach 1989 durch ein neues Möbel ersetzt wird. An ihm werden Dinge des Alltags verhandelt und Fragen der großen Politik. Hier sitzen nacheinander der Gauleiter und der Kampfgruppen-Kommandeur. Die Regisseurin Isabella Mamatis und der Klangbastler Peter Tucholski lassen die Geschichte des Tischs in einer Klang- und Lichtinstallation von Loitzern selbst erzählen.

In einem Verschlag im Foyer des Zeughauses sind 77 Besucher spiralförmig um den runden Tisch plaziert worden. Stehlampen entpuppen sich als Lautsprecher, und unter den Sitzen befinden sich Diaprojektoren. In der Montage aus Geräuschen, Satzfetzen und Musik ergeben die Erzählungen der Loitzer ein Bild von der Geschichte des Ortes. Der jüdische Chef des Dübelwerkes verkauft sein Werk an einen „arischen“ Fabrikanten, der ihm zur Flucht verhilft: Verhandelt wird am runden Tisch. Männergeschichten am Stammtisch: „Wer mir jetzt das Bild seiner Frau vorweisen kann, dem gebe ich einen Schnaps aus.“ Prompt wird den Besuchern Schnaps gereicht. So einfach die Idee ist, den Tisch als stummen Zeugen vieler Gespräche selbst zum Gegenstand des Gesprächs werden zu lassen, so wirkungsvoll läßt sie sich auch umsetzen. „Hörwerk“ wird die Installation genannt, aber eigentlich ist es mehr. Wie die Besucher um den Tisch gruppiert sind, bildet der Tisch auch in den Erzählungen der Loitzer den Mittelpunkt. Und als zum Ende hin ein Mensch mit buntem Hemd, pinkfarbenen Hosen und weißen Tennissocken singend durch die Reihen geht, ist die Intimität eines gutbesuchten Gasthauses beinahe erreicht. Imaginärer Klangraum und Erlebnisraum sind dank solch inszenierter Geschmacklosigkeit eins geworden. Später werden die Besucher von den Künstlern zum Gespräch eingeladen: im Museumsrestaurant ist ein Tisch reserviert. Peter Walther

„Die Jäger am Tisch im gelben Zimmer in Loitz“, bis 31.1., Fr.–Di., 20.30 Uhr, Dt. Historisches Museum, Unter den Linden