Weiblicher Hemingway

■ Die französische Schriftstellerin und Kettenraucherin Marguerite Duras ist tot

Die Hornbrillenträgerin und Kettenraucherin Marguerite Duras ist tot. Am Sonntag ist sie, 81jährig, in ihrer Pariser Wohnung gestorben, in der sie seit ihren Jurastudentinnentagen lebte. „Ich bin selten ohne Liebhaber gewesen“, hatte Marguerite Duras in einem ihrer letzten Bücher nicht ohne Stolz erklärt. Der letzte von ihnen, der um Jahrzehnte jüngere langjährige Lebensgefährte Yann Andrea hat ihren Tod Sonntagabend der Presseagentur AFP bekannt gegeben. Am Donnerstag wird die Trauerfeier für die weltweit auflagenstarke Schriftstellerin, Bühnenautorin, Drehbuchschreiberin und Filmemacherin in der Kirche Saint-Germain des Près stattfinden. Man kann gewiß sein, daß hier ein in vollen Zügen ausgekostetes, wenn auch nicht immer leichtes Leben zuende gegangen ist.

Ihr Tod kommt keineswegs überraschend. Von einer schweren Operation Ende der achtziger Jahre hat sie sich nur sehr langsam und wohl nie ganz erholt. Nach „neun Monaten des Todes“, wie sie diese Zeit nannte, war sie eine sichtlich geschwächte Frau. Doch im Unterschied zu so manch anderen prominenten Damen machte Duras keinen Hehl aus dem Altern ihres Körpers. Sie trat sogar noch mit dem Sprechgerät an ihrem Hals, das die Stimme verzerrte, vor das Mikrophon.

Als Marguerite Donnadieu ist sie am 4. April 1914 in der Nähe von Saigon im damaligen Indochina geboren worden. Das Pseudonym Duras nahm sie erst in Frankreich an. Ihren Vater, einen Kolonialfranzosen, verlor sie früh, die Mutter brachte als Lehrerin die Kinder durch. 1933 erst kam Marguerite nach Paris, schrieb sich an der Sarbonne ein und wurde bald in der Widerstandsbewegung aktiv. Aus dieser Zeit datiert ihre erste Begegnung mit François Mitterrand, dem sie ihr Leben lang verbunden blieb und den sie um nur zwei Monate überlebte. Ihr Liebhaber war der Sozialist mit der erst vor etwa zwei Jahren aufgeflogenen Vichy-Vergangenheit jedoch nicht; im erotischen Jagdverhalten waren sich der spätere Präsident und die Erfolgsschriftstellerin vielleicht zu ähnlich.

Tatsächlich muß Marguerite Duras' politische Haltung, die immer eine linke war, mit ihrem sexuellen Ehrgeiz zusammen gesehen werden. Nur die Sexualität erklärt ihr sagenhaftes Talent, unerträgliche politische Paradoxien auszuleuchten. „Hiroshima, mon amour“ (1959) war ihr erster Welterfolg. Die Verfilmung des Drehbuchs durch Alain Resnais erzählt die kurze, aber heftige Liebesgeschichte einer Französin und eines Japaners, die auf unterschiedliche Weise durch den Zweiten Weltkrieg gezeichnet sind. Die Frau trägt ihren Schmerz seit der Stigmatisierung in sich, die sie erlebte, als ihre Liebesgeschichte mit einem Wehrmachtsoldaten entdeckt wurde. Der Mann lebt mit seiner schmerzhaften Erinnerung an den Atombombenabwurf auf Hiroshima. Und siehe: Als das ungleiche Paar die inneren Wunden offenlegt, wächst sein Verlangen.

Einige Jahre lang war Marguerite Duras Mitglied der Kommunistischen Partei Frankreichs, aus der sie 1950 ausgeschlossen wurde. 1968, während der Studentenrevolten, sah man die kleine Frau auf der Straße marschieren. 1956 hatte sie in aller Deutlichkeit gegen den sowjetischen Einmarsch in Ungarn Stellung bezogen. Daß sie indes über ihre Erlebnisse in der Résistance so lange geschwiegen hat, obwohl ihr Mann Robert Antelme in einem deutschen Konzentrationslager gewesen und sie selbst nach Deutschland deportiert worden war, erklärt Klaus Theweleit damit, daß de Gaulle nach Kriegsende die historische Legitimität ausschließlich für seinen eigenen Widerstand reklamiert habe.

Duras hat immer viel getrunken, und sie konnte wunderbar über das Trinken schreiben. Zuerst – so hat sie einmal ihren Werdegang als Alkoholikerin rekonstruiert – trank sie auf politischen Abendveranstaltungen, dann fing sie an, für sich allein zu trinken. Dem Alkohol ergeben zu sein, ist kein feines Thema, schon gar nicht für eine Frau. Doch das Tabu wurde von Duras in eine poetische Allegorie verwandelt. Trinken, allein sein, schreiben: Glaubt man Duras, dann waren das die Konstanten ihres Lebens. Männer, also auch Sexualität, bleiben zwar intensive, aber doch Randerscheinungen der weiblichen Existenz.

Neben den Filmen „Hiroshima, mon amour“, „India Song“ und „Der Liebhaber“ haben Duras ihre zahlreichen Romane berühmt gemacht. Sie ist Trägerin des renommierten Literaturpreises Prix Goncourt. Man wird ihr nachsagen dürfen, ein eigenes literarisches Universum geschaffen zu haben. Ihre Spezialität sind knappe Dialoge und kurze Sätze. Daß sie stilistisch als Vertreterin des „Nouveau Roman“ einzuordnen sei, wie die Nachrichtenagenturen einvernehmlich melden, hat sie selbst zu Lebzeiten schon bestritten. Eher trifft die Charakterisierung „weiblicher französischer Hemingway“ zu, wie ein Kritiker sie genannt haben soll. Denn Duras pflegt eine Ästhetik des wilden ungebundenen Lebens, selbstzerstörerisch durchaus, mit Neigung zu Meer, Hitze und fremden Ländern.

Man mag einiges gegen Duras' – in den letzten Jahren noch gesteigerten – Willen zur Stilisierung, ja manchmal zum unverhohlenen Kitsch einwenden. Doch unbestritten ist ihre Gabe, ein erotisches Grundkribbeln herzustellen in ihren diversen Romanen, heißen sie „Der Mann im Flur“, „Die Verzückung der Lol V. Stein“ oder „Der Matrose von Gibraltar“. Duras' erzählerischer Trick besteht darin, das Geschlechterverhältnis kurzerhand umzudrehen: „Ich habe nie gelogen in einem Buch. Auch nicht in meinem Leben. Außer den Männern gegenüber.“

Bei ihr sind es die Frauen, die wählen. Das können sie, weil sie bereit sind, allein zu bleiben. Seit Marguerite Duras dürfen Frauen von Männern im Plural sprechen (wenn sie denn wollen). Und deshalb mußte Duras auch nie die Klage vom Frauenopfer anstimmen. Chapeau! Ina Hartwig