Du mußt nicht wissen, was du ißt

■ Arbeit für Chemie-Detektive: Europäisches Parlament will nicht alle Gentech-Lebensmittel kennzeichnen

Straßburg (taz) – VerbraucherInnen müssen nicht in allen Fällen wissen, daß die Lebensmittel auf ihrem Teller gentechnisch manipuliert sind – das finden Europas ParlamentarierInnen. In Straßburg hat das Europäische Parlament gestern eine Regelung beschlossen, nach der gentechnisch hergestellte oder veränderte Lebensmittel nur dann gekennzeichnet werden müssen, wenn ChemikerInnen einen Unterschied zum Original nachweisen können.

„Das ist Verbraucherschutz zweiter Klasse“, schimpfte Dagmar Roth-Behrends (SPD) nach der Abstimmung. Der lauwarme Kompromiß ging auf einen Vorschlag der christdemokratischen Fraktion im Europaparlament zurück. Damit hat das Parlament aber immerhin den Standpunkt des EU-Ministerrats abgelehnt, der nur bei „wesentlichen Änderungen“ eine Kennzeichnungspflicht vorsah.

BefürworterInnen einer umfassenden Kennzeichnungspflicht waren dennoch enttäuscht. Denn der Umweltausschuß des Parlaments hatte unter Führung der streitbaren Euro-Sozialdemokratin Roth- Behrends einen viel weitreichenderen Vorschlag vorgelegt. Ein praktisches Beispiel: Zucker, der aus einer gentechnisch veränderten Rübe gewonnen wird, läßt sich chemisch nicht mehr von konventionellem Zucker unterscheiden. Solcher Zucker – oder daraus hergestellte Marmelade – muß nach dem gestrigen Beschluß nicht gekennzeichnet werden. Der Umweltausschuß des Europaparlaments hätte auch hier einen Gentech-Hinweis für erforderlich gehalten.

Die Vorschläge des Umweltausschusses fanden unter den anwesenden ParlamentarierInnen zwar eine breite Mehrheit, jedoch waren rund 200 Abgeordnete gar nicht zur Abstimmung erschienen, so daß die zur Änderung des Ministerratsvorschlags erforderliche absolute Mehrheit aller Abgeordneten nur mit den christdemokratischen Stimmen zustande kommen konnte. Um am Ende nicht mit leeren Händen dazustehen, stimmten schließlich auch Sozis, Grüne und Kommunisten für das christdemokratische Modell.

Damit ist das Gezerre um die Kennzeichnungspflicht allerdings noch nicht zu Ende. Ein Vermittlungsausschuß muß nun einen Kompromiß mit dem Ministerrat finden. Auch wenn Hiltrud Breyer von den Grünen gestern sofort eine „Verhöhnung der VerbraucherInnen“ geißelte: Ganz zahnlos ist der gefaßte Beschluß nicht. Immerhin hat das Parlament an zwei entscheidenden Punkten (noch) nicht nachgegeben. Eine Kennzeichnung ist auch erforderlich, wenn die Veränderung nur ein „agronomisches Merkmal“ betrifft – beispielsweise wenn Rüben gentechnisch gegen Pestizide resistent gemacht werden. Der Ministerrat lehnte dies ab, weil resistenter Mais nicht anders munde als das konventionelle Pendant. Zweitens sollen auch Lebensmittelzusätze, wie Enzyme für die Brotherstellung, nicht völlig versteckt bleiben. Hier soll im bereits bestehenden EU-Recht nachgebessert werden.

Das Öko-Institut in Freiburg warnte gestern vor Gefahren, die mit dem Verzehr von gentechnisch veränderten Lebensmitteln verbunden sein könnten. So könnten Tomaten, denen ein Antifrostgen der Flunder eingepflanzt wurde, für Konsumenten, die auf Fischeiweiß allergisch reagieren, „unangenehme Überraschungen“ zur Folge haben.

„Ohne eine umfassende Kennzeichnung haben empfindliche Personen keine Chance, die problematischen Produkte zu vermeiden“, warnte das Institut.

Ch. Rath/A. Jensen Seiten 2 und 10