Im Berufsbann den Zettelkasten angefangen

■ Als Krankenpfleger durfte Werner Hillebrecht (KBW) nicht arbeiten. So trug er 41.000 Titel zur weltweit größten Namibia-Bibliographie zusammen/ taz-Serie BremerInnen in Namibia, Teil 4

In Insiderkreisen genießt er hohes Ansehen. Zahlreiche Wissenschaftler, Politiker und Journalisten hätten ohne ihn auf dem Trockenen gesessen. Werner Hillebrecht hat die mit rund 41.000 Titeln weltweit größte Namibia-Bibliographie erstellt. Nach der Unabhängigkeit des Landes 1990 faßte Hillebrecht den Entschluß, seine bereits in Bremen begonnene Arbeit in Namibia fortzusetzen. Heute arbeitet er im namibischen Staatsarchiv in der Hauptstadt Windhuk.

Nach seiner Ausbildung als Krankenpfleger in Göttingen hoffte Hillebrecht vergeblich auf eine Anstellung. Als KBW-Mitglied traf auch ihn der Bann des Berufsverbotes. Eher zufällig fiel dem gebürtigen Kreinsener (Niedersachsen) eines Tages ein Buch über die Geschichte der ehemaligen deutschen Kolonie Südwest-Afrika in die Hände. Die vom heutigen bündnisgrünen Bundestagsabgeordneten Winnie Nachtwei verfaßte Schrift weckte als „sehr gute Zusammenfassung“ sein Interesse für Namibia, erinnert sich Hillebrecht. Aus der Not der Arbeitslosigkeit machte er eine Tugend und arbeitete sich in die Kolonialgeschichte und den namibischen Widerstand ein.

Nachdem Hillebrecht mehr und mehr Bücher verschlungen hatte, drohte langsam der Überblick verloren zu gehen. Deshalb trug er in einem kleinen Zettelkasten alles Wesentliche über die gelesenen Publikationen zusammen. „Daß daraus einmal die weltweit größte Namibia-Bibliographie werden sollte, war mir damals nicht klar“, sagt Hillebrecht, der sich ohne entsprechende Ausbildung „mit der Zeit“ alle Bibliothekarskenntnisse selbst aneignete.

Als Hillebrechts Zusammenstellung einen immer größeren Umfang erreichte, wurden immer mehr Menschen auf ihn aufmerksam, die sich von Berufs wegen mit Namibia beschäftigten und für die Hillebrecht wegen der ungeordeten Literaturlage über das von der Rassentrennung zerrissene Land ein Glücksfall war. Schließlich erfuhr auch das Namibia-Institut der Vereinten Nationen in Lusaka, Sambia, von Hillebrechts Tätigkeit. Der Anti-Apartheid-Aktivist konnte seine Leidenschaft zum Beruf machen. Mit einer von der UN finanzierten Stelle intensivierte er seine Recherchen, reiste quer durch Europa von Bibliothek zu Bibliothek und wertete Fachzeitschriften aus. 1986 schließlich wechselte Hillebrecht zum Namibia-Projekt an der Universität Bremen, um seine Listen „zu computerisieren“ und weiter auszubauen.

„Ich wollte immer nach Namibia gehen“, sagt Hillebrecht. „Wenn man so etwas wie ich macht, bleibt das nicht abstrakt.“ Keine Sekunde hat er nach der Unabhängigkeit Namibias deshalb gezögert, von Europa nach Afrika umzuziehen. Hier werde seine Arbeit gebraucht, etwa um mit Hilfe der Literatur die zukünftige Entwicklung des Landes planen zu können.

Als „totale Katastrophe“ bezeichnet der ehemalige Bremer die öffentlichen Bibliotheken in Namibia. Innerhalb des Bestandes bis 1989 gebe es keinerlei Apartheid-kritische Literatur, zudem seien die Werke zumeist im verhaßten Afrikaans, der Sprache der ehemaligen weißen Unterdrücker, verfaßt. Um die Bibliotheken wie gewünscht reformieren zu können, fehlt das Geld. Ohne ausländische Unterstützung etwa von Schweden könnten keinerlei Fortschritte erzielt werden.

Im nördlichen Ovamboland, wo mehr als 60 Prozent der Namibier leben, gibt es keine einzige Bibliothek. Da die Mehrheit der Menschen dort nicht lesen kann, wird es wohl Jahrzehnte dauern, bis Hillebrecht mit seiner Arbeit eine breitere Bevölkerungsschicht erreicht.

Für Hillebrecht, der seit kurzem neben der deutschen auch die namibische Staatsbürgerschaft besitzt, gibt es keinen Weg zurück nach Deutschland. Zwar besteht weiter reger Briefkontakt zu seiner alten Bremer WG. Doch inzwischen hat er geheiratet – seine 1990 aus dem Exil in Finnland zurückgekehrte Frau ist Leiterin der namibischen Parlamentsbibliothek – und er ist Vater der zweijährigen Mwamengwe. Weiterer Nachwuchs ist unterwegs. „Ich fühle mich hier einfach unheimlich wohl und möchte bleiben“, sagt Hillebrecht bestimmt.

Danyel Reiche, Windhuk