Die Helden kamen nicht

■ Pseudo-Machiavellismus um Tschetschenien

Kriege anzufangen ist leicht. Die politischen und militärischen Führer pflegen dann zu behaupten, es handele sich um einen Spaziergang oder einen kleinen chirurgischen Eingriff zur Wiederherstellung gesunder Verhältnisse. Gegen Abend dürfe man die Helden wohlbehalten zurückerwarten. Meist kommt es anders.

Kriege, bei denen es kein glaubwürdiges Ziel und keinen abschätzbaren Erfolg gibt, ziehen sich hin. Und je länger sie das tun, desto schwerer sind sie zu stoppen. Besonders schwer zu beenden sind Kolonialkriege, die das aufständische Volk erst herstellen und motivieren. Sie sind immer verbrecherisch, weil sie nur durch einen Genozid gewonnen werden können.

In der Regel sind Regierungen, die derartige Kriege begonnen haben, unfähig, Frieden zu schließen. Ihre Friedensbereitschaft würde nicht nur das Eingeständnis ihrer Niederlage bedeuten, sondern auch ihr Schuldbekenntnis: Sie waren leichtfertig und unmoralisch, als sie den Krieg begannen. Eine Regierung, die das zugibt, verliert ihre Legitimität. So werden diese hoffnungs- und ziellosen Kriege auch erst durch Umsturz beendet. Die gestürzte Regierung kann von der neuen jener Verbrechen bezichtigt werden, die sie tatsächlich begangen hat.

Im tschetschenischen Fall hätte Boris Jelzin jetzt zu den Wahlen also die Möglichkeit gehabt, den Krieg elegant ausklingen zu lassen. Mit Lebed war ein Offizier Sicherheitsberater geworden, der den Krieg kritisiert hatte. Die Kriegskamarilla um Jelzin war entmachtet worden. Mit einer blutigen Nase hätte sich die russische Armee aus dem Schlamassel, den sie angerichtet hatte, zurückziehen können. Als Schuldige standen die Entlassenen bereit.

Es gab für den Frieden sogar eine demokratische Legitimation. Der Waffenstillstand war zwar nur aus wahltaktischen Gründen geschlossen worden, aber diese Taktik hatte sich bewährt. Daß nun die Gelegenheit nicht genutzt wurde, daß die russische Armee den Krieg sofort nach der Wahl wieder aufnahm, verdeutlicht Strukturprobleme, die noch gefährlich werden können. Zu deren wichtigsten gehört die Annahme, Machiavellismus bestehe einfach in der Bereitschaft zum Vertragsbruch und zum brutalen Verbrechen. Aber Klugheit ist doch viel wichtiger. Erhard Stölting