Mythos, Trost, Touristenfalle

Der katholische Wallfahrtsort Fatima ist auch schiitischen Muslimen heilig. Päpstlicher Nuntius protestiert gegen die Konkurrenz  ■ Aus Lissabon Theo Pischke

Die Pilger sind seit Tagen zu Fuß unterwegs nach Fatima. Die letzten anderthalb Kilometer legen sie auf Knien zurück, auf einem extra dafür angelegten Plattenweg. Viele wickeln bloß Lappen um die Knie. Manche schützen sie mit dicken Schaumstoffschonern. Eine junge Frau wackelt mit ihrem Baby auf dem Arm vorwärts, ihr Mann geht langsam neben ihr her, bückt sich ab und zu, um mit einem Tuch Kieselsteine aus dem Weg zu wischen, die die Knie der Frau schrammen könnten.

Eine alte Frau ganz in Schwarz. Ein Mann im kurzärmligen blauen Hemd, der aussieht wie ein Finanzbeamter. Dank für eine glückliche Geburt, Bitten um eine glückliche Geburt – Dank für die Heilung von Krankheit, Bitten um die Heilung von Krankheit. Mit solchen und ähnlichen Anliegen kommen jährlich vier Millionen Pilger nach Fatima, fünftausend Einwohner, 100 Kilometer nördlich von Lissabon gelegen. Der Körper wird gepeinigt, um die Seele zu retten. Eine „religiöse Tauschbörse“, nennt dies der Soziologe Claudio Ferreira. Die Pilger bitten um Gottes Hilfe, bitten um ein „Wunder“ und bezahlen mit physischer Anstrengung.

Das Pilgern begann am 13. Mai 1917. Damals berichteten die drei Kinder Lucia, Jacinta und Francisco, ihnen sei die Mutter Jesu erschienen, ganz in Weiß, „heller als die Sonne“. Drei „Prophezeiungen“ habe sie ihnen überliefert: das baldige Ende des Ersten Weltkriegs, die „Bekehrung“ des kommunistischen Rußlands und eine dritte Prophezeiung, über die die Kinder nicht sprachen und die bis heute vom Vatikan geheimgehalten wird.

Die „weiße Frau“ gebot den Kindern, am 13. eines jeden Monats wiederzukommen. Sie werde dann wieder zu ihnen sprechen. Am 13. Oktober 1917, dem Tag der letzten „Erscheinung“, warteten mit den Kindern bereits fünfzigtausend Menschen. Die Sonderkorrespondenten der Zeitungen O Seculo und Illustraçao Portuguesa berichteten damals, sie hätten die Sonne „tanzen“ gesehen. Naturphänomen, Massenhysterie oder „Wunder“?

Während der faschistoiden Salazar-Diktatur war Fatima neben Fado und Fußball das dritte Opium für das Volk. Bis heute ist Fatima Mythos, Touristenfalle, Trostpflaster, Bittsteller- und Danksagungsstätte in einem. Und so war es nahezu natürlich, daß die 10.000-Meter-Läuferin Fernanda Ribeiro, nachdem sie in Atlanta als einzige portugiesische Athletin eine Goldmedaille gewann, im Fernsehen verkündete, sie werde nach Fatima pilgern.

Jüngst bezeichnete das iranische Fernsehen Fatima als Ort der Verehrung für die gleichnamige Tochter Mohammeds, die von schiitischen Muslimen hoch geachtet wird. Der Lissabonner Ethnologe Moises Espirito Santo hält dies für plausibel. Nach seinen Angaben sind die Prophetentochter Fatima, der Ort Fatima und ein muslimisches fatimidisches Reich, das dort vom neunten bis zum elften Jahrhundert existierte, Zeugnisse ein und derselben Realität: der langen islamischen Herrschaft auf der Iberischen Halbinsel. Begonnen hatte sie 710, Lissabon wurde erst 1147 von christlichen Rittern zurückerobert.

Der päpstliche Nuntius in Teheran, Romeo Panciroli, protestierte energisch beim iranischen Außenministerium gegen die „Verwirrung der Fakten“. Zwar habe er Respekt vor der Tochter des muslimischen Propheten, doch die Thesen des iranischen Fernsehens „widersprechen der historischen Wahrheit und dem tiefen Glauben, den Katholiken in aller Welt mit den Erscheinungen von Fatima verbinden“.

Die iranische Botschaft in Lissabon versteht die ganze Aufregung nicht und meint in einer Stellungnahme, Fatima biete Platz für christliche und islamische Pilger: „Es gibt heilige Stätten, die von mehreren Religionen verehrt werden.“