Rotkäppchen läßt grüßen

Tief im Wald liegt der „Franzenhof“. Das Angebot: Bildungsurlaub, Gesundheitsprävention oder einfach Erholung für Frauen  ■ Von Edith Kresta

Die Kopfsteinpflasterstraße mündet hinter Biesdorf in einen Waldweg. Dieser ist, dank des regenreichen Sommers, völlig aufgeweicht. Der Wagen kriecht über matschig weichen Grund. Geländefahrt in der Mark Brandenburg. Nach etwa drei Kilometern erreicht frau die Frauenbildungsstätte Franzenhof, wenn sie nicht aus Versehen vorher in Richtung Schwanz abgebogen ist. Auf einer Lichtung stehen einsam und völlig unerwartet ein altes Feldsteinhaus und ein Neubau aus den siebziger Jahren. Die blau bemalten Fensterläden geben dem DDR-typischen Neubau einen mediterranen Touch. Lizzy, eine zottelige Hirtenhündin, empfängt bellend die Neuankömmlinge, zeigt sich aber schon bald äußerst gutmütig und zutraulich.

Vor den zirka fünfzehn Zelten, die auf dem 26.000 Quadratmeter großen Gelände stehen, spielen Kinder auf dem gepflegten Rasen Federball. Versteckt hinter Tannen liegen drei Frauen nackt am Pool. Ein kurzes Sonnenbad, bevor die dicken Wolken wieder heranziehen. In das etwas angemoderte Wasser wagt sich heute keine, aber vielleicht ist es ja nur zu kalt. Das erste Sommercamp des Franzenhofs ist wenig sommerlich. Dafür gibt es Natur satt, Wiesen, Wälder, Blumen und Beeren; und, außer Vogelgezwitscher, nichts als Stille. Keine Straße, kein Kiosk, kein Restaurant weit und breit. Rotkäppchen läßt grüßen!

Nicht weit vom Oderbruch, zwischen Bad Freienwalde und Wriezen, etwa 60 Kilometer von Berlin entfernt, liegt die bislang einzige ostdeutsche Frauenbildungsstätte. Eine Oase für alle gestreßten Mütter, großstadtgeschädigte und erholungsbedürftige Frauen zwischen Beziehungsstreß und Karriereknick.

Beim Radeln in der Mark Brandenburg entdeckten Christiane Dietrich und Tessi A. Harder, beide West, das ehemalige Stasi- Objekt. Sie sponnen die Idee einer Frauenbildungsstätte und setzten sie auch um. 1991 gründeten sie einen Trägerverein. Schon ein Jahr später wurde das Projekt in Angriff genommen, subventioniert von der Landesregierung Brandenburg. Das Resultat kann sich sehen lassen: Aus dem ehemaligen „Patentamt“ der DDR wurde der Stasi-Mief herausgeschrubbt, übertüncht und beseitigt. „Es hingen sogar noch die Stasi-Uniformen im Schrank“, erzählt Tessi. Mit den hellen Holzmöbeln, den abgezogenen Dielen, den blauen Vorhängen und Fenstern, dem Aufenthaltsraum mit abgenutzter Couchgarnitur und der taz auf dem Tisch ist funktionale Alternativkultur eingezogen.

„Das Besondere am Franzenhof ist“, findet Silvia Latuske aus Remscheid, die auch andere Frauenbildungsstätten kennt, „daß es unglaublich viel Raum für Kinder gibt.“ Und es gibt ganztägige Betreuung; auf dem großzügigen Gelände verlieren sich die Kinder zwischen Katzenschmusen, Holzsammeln, Baden oder Indianerspielen. Und im Wald, draußen vor Tür, begegnet ihnen allenfalls eine Wildschweinfamilie.

Der Komfort bewegt sich auf gehobenem Jugendherbergsniveau: Frau muß das Zimmer mit ein, zwei anderen teilen, wenn sie überhaupt ein Zimmer bekommt. Sonst ist Zelten angesagt. Sie muß in Gemeinschaft duschen und das Essen wird bei schönem Wetter etwas umständlich und über Umwege vom Buffet in den Garten geschleppt. Dafür schmeckt es, wenn es nicht kalt geworden ist, sehr gut: Das Gemüse kommt frisch aus der Region, Zubereitung und Zusammenstellung sind undogmatisch gesund. „Auf gutes Essen legen wir besonderen Wert“, meint Küchenchefin und Gründungsfrau Tessi. Die Preise sind günstig: zirka 60 Mark zahlt Frau für Übernachtung im Zimmer inklusive Vollpension, Kinder ab 20 Mark. Preise, die den oft niederen Einkommen von Frauen und vor allem den niederen Einkommen der Frauen aus der Region Brandenburg entgegenkommen. Preise, die auch am chronischen Finanzmangel des Projekts und seiner Abhängigkeit von öffentlichen Geldern nichts ändern.

Inhaltliche Schwerpunkte des Franzenhofs sind die Gewaltprävention und Gesundheitsvorsorge, Kurse wie „Selbstbehauptung und Selbstverteidigung für junge Mädchen“, „Meditation und Gesundsein“, „Möglichkeiten der Streßbewältigung“, „Yoga “ oder „Feldenkrais“ wurden bislang von der AOK anerkannt und bezahlt. Für 1997 befürchten die Frauen vom Franzenhof eine Gefährdung des Projekts: durch die Seehoferschen Sparmaßnahmen soll die Gesundheitvorsorge nicht mehr von den Kassen bezahlt werden. Dafür setzen sie nun verstärkt auf Bildungsurlaubs-Angebote. Auch diese werden gefördert. „Kommunikation in Alltag und Beruf“, „Burning out – Selbstschutz in der psychosozialen Arbeit“ oder schlicht Buchführung sind als Bildungsurlaub-Seminare anerkannt. Rückwirkend zum Januar 1996 hat auch Brandenburg ein Bildungsurlaubsgesetz.

Das Angebot des Franzenhofs wird dadurch vielfältiger, die Frauen, die dort das ganze Jahr über hinkommen, sind es schon. „Wir haben die Frau aus dem nächsten Dorf, die Frau aus dem sozialen Projekt aus der Umgebung, die frauenbewegte Frau und die Omi mit Enkelin“, sagt die Mitorganisatorin Petra Sammler. In Zukunft wolle man sich verstärkt um die Frauen aus dem Westen kümmern: „Die können auch einmal einen Wochenendworkshop bezahlen“, so Sammler, etwa „Keine Angst vor der Fahrradtechnik“. Oder sie kommen einfach nur zum Entspannen, zum Spazieren und Wandern in Natur pur, zum Beispiel zum Baa-See, der etwa drei Kilometer entfernt liegt.

Zum diesjährigen Sommercamp sind vor allem Frauen aus der Lesbenszene angereist. Während die eine Gruppe mit Marinka Körzendörfer über Nischenkultur oder Untergrundfeminismus in der DDR diskutiert, schmieden und schweißen die anderen altes Eisen. Den ganzen Tag hört frau das Klopfen der Hämmer und Surren der Schweißapparate. Konzentrierte Arbeit. Die Resultate sind beachtlich: Vom Riesenkerzenständer über Wiegemesser bis zum Dolch reicht die Ausbeute.

Frau hat Phantasie, frau hat Kraft. Und die kann sie im Franzenhof auftanken. „Denn“, so weiß Projektfrau Christiane Dietrich, „viele Frauen wollen einfach mal abschalten, ungestört sein, etwas für sich tun und versorgt werden.“ Einfach Ruhe haben!

Information und Programm: Frauenbildungsstätte Franzenhof, 16269 Biesdorf-Lüdersdorf. Tel./Fax: 033456/2136, Bürozeiten: Mo.–Fr.: 10–14 Uhr, Mi.: 10–20 Uhr