20 Jahre die Treppe runter

■ Im "Club des Hachichins" trafen sich Mitte des 19. Jahrhunderts französische Schriftsteller zum gemeinsamen Haschen. Das Ergebnis war wenig berauschend

Auf seinem Ägyptenfeldzug Ende des 18. Jahrhunderts hatte Napoleon nicht nur die gegnerische Armee zum Feind. Ein viel unscheinbarer Gegner hatte sich längst in die eigenen Reihen geschlichen und legte Teile der Grande Armeé auf seine Art lahm: le hachiche. So groß war die Begeisterung der Soldaten für den berauschenden Stoff, daß sich der Feldherr gezwungen sah, den Konsum zu verbieten.

Es waren nicht die Soldaten allein, die das Haschisch in Frankreich populär machten. Auch die Mitbringsel aus diversen Kolonien im Vorderen Orient trugen ihren Teil dazu bei, daß sich die Droge im Vergleich zum restlichen Europa in Frankreich großer Beliebtheit erfreute. Ob in Form von Marmelade (dawamesc) oder gängiger: grüner Paste.

Als sich im Mai 1843 der 22jährige Charles Baudelaire in einer Wohnung auf der Pariser Ile Saint- Louis einquartierte, war das Haschisch unter französischen Intellektuellen bereits verbreitet. Nicht zuletzt wegen der Experimentierfreudigkeit des Arztes Jacques- Joseph Moreau de Tour, der häufig in Baudelaires Haus verkehrte, in dessen Salon der Maler Fernand Boissnard regelmäßig einen Zirkel stadtbekannter Künstler und Schriftsteller empfing. Darunter Gérard de Nerval, Gustave Flaubert und Honoré de Balzac. Moreau hatte auf seinen ausgedehnten Reisen in den Vorderen Orient mit besonderem Interesse die Wirkung bewußtseinsverändernder Drogen studiert. Eine Passion, die er nach seiner Rückkehr beibehielt. Nach etlichen Selbstversuchen überredete er mit besonderem Eifer befreundete Schriftsteller zur Einnahme mitgebrachter Präparate, um deren Auswirkung auf das kreative Potential zu studieren. Moreau begriff den Salon am Quai d'Anjou Nr. 17 als eine Art Labor, in dem er seinen literarischen Versuchskaninchen Drogen zu verabreichen suchte.

Als erster Ausfluß dieser Experimente erschien am 10. Juli 1843 in der Zeitung La Presse ein Aufsatz des opiumerfahrenen Théophile Gautier unter dem Titel „Le Hachiche“, in dem er sich von der Wirkung der neuen Droge durchaus beeindruckt zeigte. Viel mehr aber auch nicht.

Auch die anderen Mitglieder des Club des Hachichins (wie Gautier die Zusammenkünfte in seiner gleichnamigen Erzählung von 1846 nannte) ließen ihre Erfahrungen in ihr künstlerisches Schaffen einfließen. Auffallend ist aber, daß le hachiche vor allem als eigenständiges Sujet Einzug in die Literatur hielt, und weniger als Inspirationsquelle. So beschrieb auch Gautier in seiner Erzählung „Le Club des Hachichins“ die Phasen des Rauscherlebnisses, die aber en detail: von der anfänglichen Albernheit über den Verlust des Zeit- und Raumgefühls bis hin zu Anklängen an eine Paranoia. Wobei der Rausch in den seltensten Fällen „rein“ war, denn die französischen Intellektuellen rauchten nicht nur viel Hasch, sondern tranken vor allem maßlos Alkohol.

Und selbst im Club des Hachichins blieben Haschischjünger wie Gautier und Moreau Außenseiter. Denn ein Großteil der Intellektuellen teilte Balzacs Angst vor dem Verlust des eigenen Willens. „Es fällt einem in der Tat nicht leicht, sich vorzustellen, der Theoretiker des Willens [...] könnte seine Zustimmung dazu geben, auch nur ein kleines Teilchen dieser kostbaren Substanz einzubüßen“, erinnerte sich Baudelaire später. Nur einmal konnte sich Balzac überwinden, doch sein Unwillen stand einer kreativen Entwicklung des Rausches im Weg. Lapidar vermerkte er in einem späteren Brief: „Immerhin hörte ich himmlische Stimmen und sah göttliche Bilder; dann stieg ich 20 Jahre lang die Treppe des Hotel de Lauzun herab.“

Auch Gautier ließ ein paar Jahre später von der Droge ab und kam zu der Erkenntnis, daß „der wahre Schriftsteller nur seine natürlichen Drogen braucht und nicht dulden mag, daß sein Denken der Wirkung irgendeiner Substanz unterworfen ist.“ Oliver Gehrs