Ein vorzeitig aus der Haft entlassener Sexualstraftäter hat am Sonntag gestanden, die siebenjährige Natalie Astner im oberbayerischen Epfach entführt und getötet zu haben. Der Verdacht, daß der Mann das Mädchen auch sexuell mißbraucht hat,

Ein vorzeitig aus der Haft entlassener Sexualstraftäter hat am Sonntag gestanden, die siebenjährige Natalie Astner im oberbayerischen Epfach entführt und getötet zu haben. Der Verdacht, daß der Mann das Mädchen auch sexuell mißbraucht hat, scheint sich zu erhärten. Das Verbrechen heizt nach der Serie von Kindermorden in Belgien die Diskussion über schärfere Strafen für Sexualstraftäter erneut an.

Der Ruf nach Knast verdeckt die Ohnmacht

Nach den Kindermorden in Belgien nun auch ein Fall in Bayern. Ein siebenjähriges Mädchen wurde entführt und umgebracht. Hilft in solchen Fällen strengerer Strafvollzug für Sexualtäter?

Es ist wieder dieser Konjunktiv, der sich aufdrängt: Hätte Armin S. seine Haft vollständig abgesessen, könnte ein Kind in einem bayerischen Dorf jetzt noch am Leben sein. Hätte man seine Strafe im letzten Jahr nicht zur Bewährung ausgesetzt, hätte er noch bis Anfang 97 im Knast gesessen und hätte keine Möglichkeit gehabt, die siebenjährige Natalie Astner zu entführen und zu ermorden.

Hätte, wäre, könnte. Mit solchen Gedankenspielen kann man versuchen, aus einem grausamen und kaum zu begreifenden Verbrechen wenigstens einen politischen Schluß zu ziehen. Wie es CSU-Chef Theo Waigel gestern tat: „Bei der hohen Rückfallquote solcher Sittlichkeitstäter gegenüber Kindern müssen wir über Konsequenzen für den Strafvollzug und Bewährungsstrafen nachdenken.“ Doch vermutlich führt man nach Kindermorden wie in Belgien oder jetzt in Bayern sehr schnell und sehr laut solche Diskussionen, um die eigene Machtlosigkeit nicht wahrnehmen zu müssen.

Die Einzelheiten des Falls Natalie Astner hinterlassen bei Außenstehenden jedenfalls vor allem ein Gefühl der Ohnmacht. Das siebenjährige Kind war am Freitag morgen auf dem Schulweg von einem Autofahrer angehalten und in den Wagen gezerrt worden. Eine Anwohnerin im kleinen oberbayerischen Dorf Epfach hörte zwar die Hilferufe des Mädchens, reagierte jedoch nicht.

Am Mittag wartete die Mutter von Natalie dann vergeblich, daß ihre Tochter aus der Schule zurückkehren würde. Sie alarmierte schnell die Polizei, die sofort eine Suchaktion mit fast 300 Beamten und etlichen Helfern aus dem Dorf begann. Bis Freitag abend allerdings nur mit einem düsteren Erfolg: An einer Straße fanden die Beamten die Schultasche des Mädchens. Die Eltern entschlossen sich am Samstag, in einer Pressekonferenz den Entführer zu beschwören: „Wenn Du ein Herz hast, gib mir, uns die Natalie zurück“, sagte der Vater in die Kameras und Mikrofone. Einen Tag später stellte die Polizei fest, daß dies bereits zu spät war: Natalie war zu diesem Zeitpunkt bereits tot. Ihre Leiche wurde am Sonntag im Lech geborgen.

Der Täter war bereits am Samstag abend festgenommen worden; einer von 150 Hinweisen aus der Bevölkerung hatte sich als richtig herausgestellt. Nach stundenlangem Verhör gab der 27jährige Armin S. schließlich zu, Natalie entführt und getötet zu haben, bestritt jedoch, daß er das Mädchen vergewaltigt hatte. Die Obduktion habe gestern jedoch „den Verdacht des Mißbrauchs“ erhärtet, wie aus den Justizbehörden zu erfahren war.

Schon 1993 war der Mann von einem Münchner Gericht verurteilt worden. Wegen sexuellen Mißbrauchs von drei Kindern bekam er damals eine Haftstrafe von viereinhalb Jahren. Doch nachdem er zwei Drittel abgesessen hatte, wurde Armin S. im Juli 1995 auf Bewährung freigelassen.

Die politische Diskussion begann gestern an diesem Punkt. Sollte man die Hafterleichterungen für Sexualstraftäter abschaffen? Ähnlich wie CSU-Chef Waigel äußerte sich auch der bayerische Ministerpräsident. Man müsse prüfen, ob Sexualstraftäter weiterhin vorzeitig entlassen werden könnten, erklärte Edmund Stoiber. Der Justizminister aus Stoibers Kabinett, Hermann Leeb (ebenfalls CSU), gab sich dagegen bemerkenswert zurückhaltend. Mit einer Bewährungsstrafe und Therapieauflagen könne unter Umständen mehr erreicht werden, als wenn der Täter seine Strafe bis zum letzten Tag absitzen müßte, sagte Leeb.

Auch die niedersächsische Justizministerin Heidi Alm-Merk (SPD) forderte gestern strengere Kontrollen, bevor ein Sexualstraftäter zur Bewährung entlassen werden könne: „Keine Strafvollstreckungskammer darf allein aufgrund einer Teilnahme an einer Therapie auf Lockerung entscheiden“, erklärte sie. Deshalb müßten Hafterleichterungen von einer zweimaligen Begutachtung der Täter abhängig gemacht werden. Felix Berth