Die lieben Brüder von der Contra

Im nicaraguanischen Wahlkampf buhlen die linken Sandinisten und die rechten „Liberalen“ um die Stimmen der ehemaligen Contras. Am Sonntag wird eine neue Regierung gewählt  ■ Aus Managua Anne Huffschmid

Ein Meer roter Fähnchen hat die Lichtung inmitten der waldigen Hügel überschwemmt. Drückende Schwüle liegt selbst hier, in der bergigen Provinzhauptstadt Matagalpa, drei Stunden nördlich der Hauptstadt, über der Plaza. Rote Nelken stecken in den Knopflöchern, überhaupt alles ist rot: nicht nur Luftballons und die allgegenwärtigen Schirmmützchen, auch Hemden und Faltenröckchen. Doch die Farbe trügt: „Viva la Contra!“ schallt es von der Tribüne. „Wann kommen die Sandinistas wieder an die Macht?“ ruft der Entertainer in die Menge. „Niemals!“ brüllen einige zehntausend Kehlen zurück.

Eine „liberale Cumbia“ wird angestimmt, verschiedene Redner preisen die „heldenhaften Kämpfer, die Nicaragua heute zu einem freien Land gemacht haben“. Gemeint ist hier auf der Abschlußkundgebung der Liberalen Allianz (AL) – neben der Frente Sandinista (FSLN) eindeutige Favoritin bei den bevorstehenden Präsidentschaftswahlen – nicht etwa der Sturz des Diktators, sondern „la resistencia“, der Widerstand, wie die US-finanzierte Contra mittlerweile überall genannt wird.

Die Region gilt als ehemalige Contra-Hochburg. Ehemalig? „Wenn die Contra nicht gewesen wäre“, erklärt eine grauhaarige Wahlhelferin, „dann gäbe es uns gar nicht mehr!“ Ihren Sohn habe man ihr während des Krieges im Plastiksack nach Hause geschickt, schluchzt sie, und außerdem 200 Hektar Land „weggenommen“, die die „Kommunisten“ dann flugs zu einer Kooperative umfunktioniert hätten. Mit dem Wahlsieg der Alianza hofft die alte Dame nun, wenn schon nicht ihr Land, so doch wenigstens eine Entschädigung zu bekommen. Diese Hoffnung teilen sicher viele der „Beschlagnahmungsopfer“, die auf der girlandengeschmückten Gästetribüne neben dem Ehrengast der Veranstaltung sitzen, dem Präsidentschaftskandidaten Arnoldo Alemán. In der fähnchenschwingenden Menge aber überwiegen Campesinos, auffällig viele junge Gesichter sind zu sehen. Was sie von Arnoldo Alemán erwarten? „Daß er seine Versprechen einhält!“ Genaueres ist kaum zu erfahren.

Der Bürgermeisterkandidat eines Nachbardorfes ergänzt: „Fortschritt und nochmals Fortschritt“ will er nach dem „sandinistischen Totalitarismus“ seinen Leuten bieten. Die Regierung Violeta Chamorros, die vor sechs Jahren die Frente abgelöst hatte, sei zwar „demokratischer“ gewesen, aber immer noch „zu sanft“ mit den Sandinisten umgesprungen.

Dann betritt eine zierliche Dame im dunkelblauen Kostüm und Stöckelschuhen die Bühne, deren elegante Aufmachung sich eigentümlich von der Masse der Rotgewandeten abhebt. Sie wird als Tochter des legendären Contra-Comandante „380“ – Enrique Bermudez, ein ehemaliger Offizier der Nationalgarde des Diktators Somoza – präsentiert. Frenetischer Jubel bricht aus. „Ich hoffe, daß das Werk meines Vaters nicht umsonst gewesen ist“, ruft sie dem Kandidaten der Liberalen zu. Niemals dürfe dieser mit „diesen Marionetten Fidel Castros“ zusammenarbeiten. Der drohende Unterton ist unüberhörbar. Später, bei einer improvisierten Autogrammstunde, erläutert die umschwärmte Contra-Tochter, was sie von dem Bündnis einiger Resistencia-Chefs mit der FSLN hält, das Mitte September formal besiegelt worden war: „Völlig absurd!“, Contra habe schließlich immer bedeutet, „gegen den Kommunismus und nicht mit ihm zusammen!“.

Schließlich ergreift auch „der Doktor“, wie Arnoldo Alemán sich von seinen AnhängerInnen nennen läßt, das Wort. Auch er erinnert zunächst an die „glorreichen Kämpfer der Vergangenheit“, um schließlich für die Zukunft „Rechtsstaat, Freiheit und Demokratie“ zu verkünden. Ein einziges konkretes Versprechen macht er den BewohnerInnen von Matagalpa: Die holprigen Straßen in der Region, die sich bei den sturzbachartigen Regenfällen auch heute wieder in eine Schlammspur verwandelt haben, sollen endlich asphaltiert werden.

Überhaupt scheint dies das größte Kapital des beleibten Spitzenkandidaten zu sein: Selbst Leute, die einem möglichen Wahlsieg der Liberalen aus Angst vor „Revanchismus“ und möglichen „Säuberungswellen“ mit Sorge entgegenblicken, berichten beeindruckt von dessen Amtszeit als Bürgermeister von Managua. „Da konnte man wenigstens sehen, das was passiert“, sagt ein Taxifahrer mit Blick auf die frischasphaltierten Straßen, auf Laternen und den neuen farbig bestrahlten Springbrunnen. Was er nicht sagt: Arnoldo Alemán hatte dafür Millionenbeträge von der US- Entwicklungshilfe erhalten.

Auf der Schlußkundgebung der Alianza am Mittwoch morgen in Managua gießt es in Strömen. „Gott hat uns erhört und uns das Wasser geschickt“, versucht Alemán seine durchnäßte Zuhörerschaft bei Laune zu halten, „um die Sünden der Vergangenheit reinzuwaschen“. Und wettert einmal mehr gegen die „alten Wölfe von einst, die sich heute mit Schafspelz verkleidet haben“. Gegenüber der ausländischen Presse hatte er sich zwei Tage zuvor noch moderater gegeben: „Bei mir wird jeder ehrliche Nicaraguaner mitmachen können“, lächelte er jovial in die Kameras, „ob Buddhist, Kapitalist oder Sandinist.“

Auch Daniel Ortega – das „comandante“ ist aus den Wahlplakaten längst verschwunden – dankt auf der sandinistischen Abschlußkundgebung am Mittwoch abend zuallererst dem lieben Gott. Dafür, daß er „uns hier im Geiste der Versöhnung und Brüderlichkeit zusammengeführt hat“ und „daß er uns Vergeben gelehrt hat“. Wie vor knapp sechs Jahren ist es die riesige Rasenfläche am Ufer des verseuchten Managua-Sees, heute zu Ehren des Papstes umbenannt in Juan-Pablo-II-Platz, auf dem die Frente ihre Abschlußkundgebung feiert. Keine Wahlveranstaltung, wie die Redner betonen, sondern „ein großes Fest der Freude“. Und tatsächlich wiegt sich die Menge im Abendlicht zu den Klängen von Samba, Merengue – und immer wieder Beethovens Neunter. Die berühmte „Ode an die Freude“ hat schon vor ein paar Monaten die alte Hymne ersetzt, in der noch vom „Yankee als Feind der Menschheit“ die Rede war. „Unsere Botschaft kann nicht mehr dieselbe sein wie in den 70er Jahren“, ruft er der swingenden Menschenmasse mit den vertrauten schwarzroten Fahnen zu, denn heute gehe es vor allem um eines: um „die Wiedervereinigung der nicaraguanischen Familie“. Und dazu gehören im diesjährigen Wahlkampf der Frente auch die ärgsten ehemaligen Widersacher.

So ist der ältere Herr neben Ortega, der als „künftiger Vizepräsident“ freundlich beklatscht wird, ein gestandener konservativer Großgrundbesitzer; Mitte der achtziger Jahre war Juan Manuel Caldera selbst von den Enteignungen betroffen und hatte noch bei den letzten Wahlen die anti-sandinistische UNO-Koalition unterstützt. Begrüßt werden ausdrücklich auch die „Brüder von der Resistencia“, auch der berüchtigte „Comandante Mack“.

Aber das Angebot, den einstigen Contras im Falle eines sandinistischen Wahlsiegs ausgerechnet das Innenministerium zu überlassen, scheint auch für die loyalsten FSLN-ParteigängerInnen die Schmerzgrenze zu überschreiten. „Den Schlächter Mack als Innenminister“, meint die Menschenrechtsanwältin und Sandinistin der ersten Stunde, Vilma Nuñez, kopfschüttelnd, „das kann ich mir beim besten Willen nicht vorstellen!“

Doch der Slogan, der neben dem simplen Schriftzug „Daniel“ – wahlweise vor Sonnenuntergängen oder als Blumenbild – den Wahlkampf beherrschte, macht's möglich: „Regierung für alle“. Die „Familienstreitigkeiten“ sollten endlich beigelegt werden, für „Fortschritt und Frieden“ wollen die SandinistInnen eintreten.

Nun können am Sonntag theoretisch nicht nur zwei, sondern über zwanzig verschiedene Parteien und Wahlbündnisse angekreuzt werden. Darunter auch die „Erneuerer“ um den langjährigen Weggefährten Daniels, den Schriftsteller Sergio Ramirez. Anfang 1995 hatte sich ein Teil der sandinistischen Prominenz, darunter auch Intellektuelle wie der Priester Ernesto Cardenal oder die Schriftstellerin Gioconda Belli, nach quälenden Auseinandersetzungen von der FSLN verabschiedet. Im Büro der „Bewegung der Sandinistischen Erneuerung“ (MRS) aber herrscht keine Siegesstimmung. Ganze zwei Prozent räumen Umfragen der MRS ein. Kandidat Ramirez sei „zwar ein anständiger Kerl“, seufzt die Hotelmanagerin Luz, aber er habe nun leider „das Charisma einer schlafenden Katze.“

Auch Gioconda Belli, die eigens aus Los Angeles eingeflogen ist, um den Wahlkampf der MRS zu gestalten, muß einräumen, daß die beiden Favoriten Ortega und Alemán „als charismatische Populisten bei den Leuten gut ankommen“. Das Problem mit der Frente sei, daß sie sich geweigert habe, „den Sandinismus neu zu erfinden“ und dabei dem Caudillismo anheimgefallen sei, der Orientierung auf den Führer. Trotz allem fühle sie sich nach wie vor zugehörig. „Die Frente ist ja keine Abstraktion, das ist unser aller Heimat“, sagt sie und lächelt ihr umwerfendes Lächeln. Und außerdem: Umfragen hin oder her, Nicaragua sei schließlich „immer wieder für Überraschungen gut“.