Totalitäre Systeme an sich selbst gescheitert

■ Im Gespräch: François Furet, Preisträger des Hannah-Arendt-Preises für politisches Denken, über die Idee des Kommunismus und eine gewisse Bremer Melancholie

Gestern erhielt der französische Historiker Professor François Furet in der Oberen Rathaushalle den Hannah-Arendt-Preis für politisches Denken, der zum zweiten Mal verliehen wird. Furet (Jahrgang 1927) war Präsident der Pariser Ecole des Hautes Etudes en Sciences Sociales. Bis 1956 Mitglied der Kommunistischen Partei Frankreichs, wandte er sich hernach entschieden von der Idee des Kommunismus ab. In seinem letzten Buch „Das Ende der Illusion. Der Kommunismus“ stellt er die Leiden, die der Kommunismus im 20. Jahrhundert den Menschen gebracht hat mit denen des Faschismus auf eine Stufe. Furet arbeitet heute an der Universität von Chicago, wo auch Hannah Arendt gelehrt hat.

taz: In einem Interview, das Sie 1993 mit Ralf Dahrendorf geführt haben, bezeichnet er Sie – und sich selbst – als „Aufklärungspuritaner“. Was heißt das?

François Furet: Wahrscheinlich spielt er auf unsere grundlegende Entscheidung an, den Prinzipien der Aufklärung zu treu zu bleiben – und zwar auf fast religiöse Weise. Und die bestehen genau darin, die Freiheit des Menschen auf radikale Weise zu bestätigen. Es gibt wohl nichts Vergeblicheres und Unnützeres, als die vormoderne Gesellschaft zu vermissen. Ich verstehe als moderne Gesellschaft eine solche, deren Mitglieder frei in ihrer Meinung, ihrer Bewegungsfreiheit und ihrer Existenz sind. Problematisch daran ist: Es ist schwieriger, zu einer Gesellschaft zu kommen, deren Individuen frei und gleich sind, als zu einer, wo hierarchische Prinzipien gelten.

Auf den Kommunismus bezogen ...

... hätte vor 20 Jahren kein Historiker oder Intellektueller riskiert, das Ende des historischen Experiments des Bolschewismus vorauszusehen. Die zwei großen totalitären Experimente des Jahrhunderts sind mit ihren eigenen Waffen geschlagen worden: Der Faschismus ist militärisch besiegt worden; der Kommunismus ist mit ökonomischen Mitteln besiegt worden, wo er gerade in der Ökonomie seine Überlegenheit beweisen sollte.

Sie halten den Komunismus für überwunden und attestieren auch dem Christentum den baldigen Niedergang .

Moderne Gesellschaften sind per definitionem laizistisch, da sie Individuen vereinen, die unterschiedlichen Glaubensrichtungen anhängen. Moderne Gesellschaften sind – um mit Max Weber zu sprechen – mehr und mehr „entzaubert“, von der Idee der Transzendenz abgeschnitten.

Trotzdem stellt man doch etwa in der ehemaligen Sowjetunion ein Wiederaufleben der Religion fest.

Ist das so sicher? Ich bin skeptisch gegenüber der Idee der Renaissance des Christentums in Rußland. Wenn ich mir heute die Jugend in Moskau ansehe, bin ich nicht verwundert über deren „Mystizismus“. Ich bin vielmehr erstaunt über den wunderbaren Zuspruch, den die Konsumgesellschaft nach amerikanischem Zuschnitt bei der Jugend hat.

Heutzutage bilden die Christen, die in Europa leben, die Minderheit. 80 Prozent der Menschen christlichen Glaubens verteilen sich über den Rest der Welt.

Unbestritten expandiert das Christentum in der nicht-europäischen Welt, in Afrika oder Lateinamerika. Interessant dabei ist: Einerseits führen die modernen Sitten in Europa zu einem Niedergang des christlichen Einflusses auf das Verhalten; andererseits scheint die Ausbreitung des Christentums außerhalb Europas noch nicht beendet zu sein. Die Geographie des Christentums wird sich im 21. Jahrhundert deutlich ändern.

Sie sind zum ersten Mal in Bremen und haben soeben eine Stadtrundfahrt absolviert. Liegt die Tristesse eines verarmten Bundeslandes über der Stadt?

Es gibt eine etwas traurige Atmosphäre, die aber wohl dem Wetter geschuldet ist. Bremen ist eine der ältesten kapitalistischen Zivilisationen Europas, ist eine freie Stadt. Ich war gerührt, die Altstadt zu besichtigen und den Dom. Nun, gibt es etwas besonders Melancholisches in Bremen? Ja, tatsächlich ist der Hafen ein wenig melancholisch, wegen der Werftenkrise. Aber ich kann doch die Atmosphäre in einer Stadt, wo mir gerade ein Preis verliehen wird, nicht zu traurig finden!

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