"Das ist Marktwirtschaft"

■ Der Chef der Treuhandnachfolgerin BvS hat keine Probleme mit den Subventionen für die Privatisierung der Ostindustrie. Der Steuerzahler schaffe damit schließlich Arbeitsplätze

Zum Jahresende tritt Heinrich Hornef, der seit 1995 die Bundesanstalt für vereinigungsbedingte Sonderaufgaben (BvS) leitet, in den Ruhestand – für die taz Anlaß, Bilanz zu ziehen.

taz: Bei der letzten großen Privatisierung in Ostdeutschland, dem Verkauf von Buna an Dow Chemical vor zwei Jahren, haben Sie 9,5 Milliarden Mark Subventionen für 2.200 Arbeitsplätze ausgegeben. Das sind fast 4,5 Millionen Mark pro Job. Ist das für Sie noch Marktwirtschaft?

Heinrich Hornef: Das ist für mich absolut Marktwirtschaft. Die 9,5 Milliarden stimmen übrigens auch nicht ganz. In Brüssel mußten wir diese Summe notifizieren, aber sie ist teilweise Vergangenheitsbewältigung. Ich rechne mit sieben bis acht Milliarden Mark echten Ausgaben. Davon gehen 4,5 Milliarden Mark in Investitionen. 2,5 Milliarden kosten die Verluste bis zum Abschluß der Investitionen, und über eine Milliarde Mark sind Abbruchkosten und Ausgaben für die Beseitigung von ökologischen Altlasten – diese Milliarde darf man ja auf keinen Fall auf die Arbeitsplätze umrechnen. Wir bilden in dem früheren Chemiedreieck Halle–Leipzig–Merseburg einen kompetenten industriellen Kern. Und statt den 2.200 Arbeitsplätzen, die Dow uns vertraglich zugestanden hat, beschäftigt der Konzern dort heute schon über 3.000 Leute.

Dennoch bleiben die Kosten pro Arbeitsplatz enorm hoch.

Ja, gut. Aber ich habe gerade zwei amerikanische Firmen besucht, die Dow-Produkte weiterverarbeiten. Die bauen jetzt auch in Böhlen Fabriken und investieren 200 Millionen Mark. Das schafft wieder 150 Arbeitsplätze. Und das ist erst der Anfang.

Aber für einige Millionen Mark pro Arbeitsplatz hätte man eine andere Struktur schaffen können.

Das hat alles viel Geld gekostet. Aber Buna gehört zu den stabilsten Unternehmen in Ostdeutschland. Und aus der Chemie wird ein starker Wachstumsschub kommen. Jede Wirtschaft muß eine bestimmte Mischung haben aus Groß-, Mittel- und Kleinbetrieben. Beim Maschinenbaubetrieb Sket waren Sie weniger erfolgreich. Die Treuhand hat den Betrieb immer weiter abgemagert. Hätte man sich nicht entscheiden müssen, entweder schnell sanieren und modernisieren oder dichtmachen, anstatt jahrelang einen defizitären Betrieb zu subventionieren?

Die Schwierigkeit im Maschinenbau ist ja, daß der in Europa nicht die allerstärkste Entwicklung genommen hat. Die Japaner haben uns die großen massen- und serienweisen Maschinen weggenommen.

Das war doch Anfang der neunziger Jahre absehbar.

Wir haben uns bemüht, daraus das Beste zu machen.

Sie finden den Umgang mit Sket nach wie vor richtig?

Sket hatte eine viel zu große, unproduktive Konstruktionsabteilung. Die Personalkosten waren so hoch wie der Umsatz. Und zusammen mit den Materialkosten hatte Sket sogar doppelt so hohe Kosten wie der Umsatz. So eine schlimme Ertragssituation haben wir bei keinem anderen Unternehmen. Leider ist es nicht gelungen, Sket in Teile zu zerlegen. Das war wie eine Ideologie: Sket muß zusammenbleiben.

Wer hatte diese Ideologie?

Die sitzt in dieser Firma drin.

Das war dann aber für die Steuerzahler eine teure Ideologie.

So ein Unternehmen hat Beharrungsvermögen. Aufsichtsrat, Ingenieure und Arbeitnehmer haben uns immer gebeten: Gebt uns eine Chance, laßt uns zusammen. Und die Treuhand hat ihnen die Chance gegeben. Das hat sich für das Unternehmen als verhängnisvoll erwiesen.

Zeigt sich da nicht, daß Sie zu schwach sind in Verhandlungen?

Wir sagen ja überhaupt nicht, daß wir keine Fehler gemacht haben. Bei Sket haben wir uns nicht früh genug durchgesetzt. Heute sind wir ein Stückchen klüger und wissen, in welchen Fällen es nicht gutgegangen ist. Genausogut hätten das aber auch andere Fälle sein können. Die Treuhandanstalt und die BvS standen ständig in schwierigen Entscheidungsprozessen. Wir haben in jeder Vorstandssitzung auch heute noch fünf bis zehn große Entscheidungen zu treffen. Das ist echtes Management.

Aber Sie tragen nicht das wirtschaftliche und finanzielle Risiko dafür, sondern die Steuerzahler.

Das ist richtig. Aber dafür bekommen wir auch öffentliche Prügel. Und das Risiko, beschimpft zu werden, tragen wir ganz persönlich. Für mich ist es wichtig zu wissen, daß wir uns nach allerbesten Kräften engagiert haben und versucht haben, das Beste zu machen.

Was hat das alles den Steuerzahler bislang gekostet?

Das Unternehmen Treuhandanstalt kostet 250 Milliarden Mark. Der Bruttobetrag ist 330 Milliarden, aber wir hatten ja auch 80 Milliarden Mark Einnahmen. Von den 330 Milliarden haben wir 127 Milliarden für die Entschuldung von Krediten des alten Regimes ausgegeben. Dann haben wir 160 Milliarden für die unternehmerische Sanierung ausgegeben. Und wir haben 40 bis 50 Milliarden veranschlagt für die ökologische Sanierung. Hinzu kamen die Sozialpläne, die wir bezahlt haben.

Haben Sie die Milliarden mal auf Arbeitsplätze umgerechnet?

Dagegen haben wir uns immer gewehrt. Denn Sie müssen eigentlich das Geld auf die 16 Millionen Bewohner der neuen Bundesländer umrechnen. Das wäre eine einigermaßen faire Umrechnungsbasis. Ostdeutschland soll sich ja so entwickeln, daß es finanziell auf eigenen Beinen steht. Die industrielle Dichte ist in den neuen Bundesländern immer noch zu niedrig. Hier gibt es auf 1.000 Menschen nur 65 Industriearbeitsplätze. Das ist halb soviel wie im Westen. Deshalb müssen wir mit den industriellen Kernen, die es nocht gibt, pfleglich umgehen.

Und jetzt verkaufen Sie die ostdeutschen Werften an südkoreanische Interessenten.

Dazu kann man jetzt noch nichts sagen. Goldmann & Sachs schnuppert für uns überall in der Welt herum. Man sollte bei der nächsten Privatisierung möglichst nicht nur einen einzigen Interessenten haben.

Das ist ja ein erstaunliches Phänomen, daß Sie jetzt mehrere Bewerber haben und früher nur den Vulkan.

Die Zeiten haben sich geändert. Wir werden in eineinhalb Jahren modernste Werften an diesen Standorten stehen haben. Denen kann jetzt schon jeder beim Wachsen zugucken.

Werden Sie die Werften verkaufen oder verschenken?

Wir werden sie veräußern. Für uns war immer wichtig, die zu privatisiernden Objekte in die richtigen Hände zu geben. Ehrlicherweise muß man sagen, daß wir bestimmt nicht die vollen Investitionen zurückbekommen werden.

Die Steuerzahler finanzieren also einen Privatbetrieb.

Die Steuerzahler schaffen Arbeitsplätze. Was wäre denn die Alternative? Wenn es Staatsbetriebe blieben, wären die Steuerzahler nicht nur an den Investitionen, sondern auch an den Risiken der künftigen Verluste beteiligt. Interview: Ulrike Fokken

und Annette Jensen