Aufwind für Windies

Beim dritten von fünf Cricket-Tests hoffen selbst australische Fans auf die West Indies  ■ Aus Melbourne Eric Chauvistré

Es gehört zu Weihnachten wie das Picknick am Strand. Doch in diesem Jahr wurden alle Erwartungen der Veranstalter noch übertroffen: Mehr als 72.000 Zuschauer zog es in das Melbourner Cricket-Stadion – so viele waren es schon seit 21 Jahren nicht mehr. Sie waren gekommen, um die derzeit wohl beste Kombination der Cricket-Welt zu sehen: Australien gegen die West Indies. Die Gastmannschaft mit dem kolonialen Namen vereint traditionell Spieler aus Trinidad und Tobago, Barbados, Guyana, Antigua und Jamaika. Wegen ihrer aggressiven und risikoreichen Spielweise gehören die liebevoll „Windies“ genannten Cricketer zu den Publikumslieblingen.

Das Benehmen der Zuschauer war dem würdigen Charakter des Ereignisses angemessen, wiewohl am späteren Nachmittag Hitze und Alkohol ihren Tribut forderten. Fünfzehn Personen wurden am ersten Tag wegen Trunkenheit festgenommen, meldete die Melbourner Zeitung The Age, 40 mußten „zum Verlassen des Geländes aufgefordert werden“.

Nach zwei enttäuschenden Spielen in Brisbane und Sydney, in denen die Gastgeber ohne viel Mühe gegen die Besucher aus der Karibik gewonnen hatten, zeigten sich die West Indies am Donnerstag und Freitag wieder in alter Form. Zur rechten Zeit: Der Wettkampf geht über fünf Spiele, nach dem Match in Melbourne geht es im neuen Jahr in Adelaide und in Perth weiter. Soll es spannend bleiben, müssen die West Indies das dritte Spiel gewinnen.

Für die Cricket-Stars aus der Karibik steht viel auf dem Spiel. Bis vor zwei Jahren galten sie als die Könige des Sports – dann wurden sie zu Hause von den „Aussies“ geschlagen. Die Serie der Länderspiele in Australien ist nun die erste Chance zur Revanche. Doch auch das australische Team hat etwas zu verlieren: Nachdem sie im letzten Jahr im Finale der Weltmeisterschaft gegen Sri Lanka unterlagen, wollen die Australier nun beweisen, daß sie wenigstens in der klassischen Langversion des Spiels dominieren. Während des World Cups wurde nur die fernsehgerechte eintägige Kurzversion gespielt.

Gleich am ersten von fünf Spieltagen sorgte der Werfer Curtly Ambrose für eine Überraschung. Der 33jährige Fast Bowler aus Antigua überwand gleich fünf Batsmen, und Australien mußte sich nach dem Fall des letzten Wicket mit mageren 219 Punkten zufrieden geben. Nach nur 27 Minuten und 5 Runs ging der australische Batsman Mark Hayden vom Feld, nur kurze Zeit später gefolgt von seinem Captain Mark Taylor, der mit sieben Punkten ebenso enttäuschte. Nur die Leistung von Greg Blewett (58 Runs) und Steve Waugh (62 Runs) brachte noch ein respektables australisches Ergebnis für die erste Runde.

Angetrieben durch das schlechte Schlagergebnis des Vortages machten die australischen Bowler am Freitag Druck auf die Batsmen der West Indies. Star des Tages war Glenn McGrath, der gleich fünf Batsmen vom Platz schicken konnte. Unter seinen Opfern auch Brian Lara, der 1994 gegen England mit 375 Punkten einen neuen Weltrekord im internationalen Cricket aufgestellt hatte. Diesmal schied der Star aus Trinidad und Tobago mit nur 2 Runs aus. So mußten sich schließlich auch die Windies mit einem schwachen Ergebnis zufrieden geben und hielten am Ende des zweiten Tages einen Vorsprung von nur 14 Punkten.

Die knappe Führung der Windies bedeutet, daß eine Entscheidung womöglich erst am Montag fällt. Nach zwei aufregenden Tagen in Melbourne wünscht sich nun selbst manch australischer Cricketfan heimlich einen Gewinn der Gäste: „It's good for Cricket“ – und es bringt Abwechslung in den heißen australischen Sommer. Ein Fan brachte die Sache auf den Punkt: „Wie langweilig wäre Weihnachten ohne Cricket.“