Frustration in Chiapas

■ Mexikos Präsident wirft die Friedensverhandlungen weit zurück

Mexiko-Stadt (taz) – Wieder einmal hat Mexikos Zapatista- Guerilla sich stur gestellt: Am Wochenende lehnten die Aufständischen einen Gesetzesvorschlag des Präsidenten Ernesto Zedillo zum Wohle der mexikanischen Indios „rundherum“ ab und zögern eine Lösung der nunmehr drei Jahre andauernden Chiapas-Krise auf unbestimmte Zeit hinaus. So oder ähnlich stand es dieser Tage in Agenturmeldungen – und ist nicht einmal die halbe Wahrheit.

Denn der „Vorschlag“ Zedillos bedeutete seinerseits bereits eine Ablehnung: Faktisch zurückgewiesen wurde eine Gesetzesinitiative, die sechs Wochen zuvor von der parlamentarischen Vermittlungskommission Cocopa, unter Mitwirkung von Vertretern aller Parteien, beiden Seiten als „ultimatives Kompromißpapier“ vorgelegt worden war – und der die Zapatista-Guerilla EZLN damals ausdrücklich zugestimmt hatte. Umgesetzt werden sollte darin endlich das erste – und bislang einzige – Abkommen über „indigene Rechte und Kulturen“, das Regierungs- und Rebellenvertreter Mitte Februar letzten Jahres unterschrieben hatten. Neben „kulturellen“ Grundrechten auf Sprache, Traditionen und Zugang zu Massenmedien ist in der Cocopa-Initiative erstmals die verfassungsrechtliche Anerkennung von „Autonomie“ vorgesehen, um den indianischen Völkern Mexikos „freie Selbstbestimmung“ zu ermöglichen. Dennoch war das Papier ohnehin schon ein Kompromiß: von Regionalautonomie und territorialen Ansprüchen etwa ist nicht einmal die Rede.

Für den Präsidenten ging sie offensichtlich dennoch zu weit. In einem persönlichen Schreiben hatte dieser die Zapatistas Mitte Dezember um eine zweiwöchige „Bedenkzeit“ gebeten. Nach Ablauf dieser Frist tat das Staatsoberhaupt nun nicht etwa sein allseits erwartetes Einverständnis kund, sondern übergab den erstaunten Cocopa-Vertretern einen Packen vertraulicher „Anmerkungen“ zu ihrem Papier. Diese aber stellen sich als komplett neu redigierte Gesetzesinitiative heraus, bei der es keinesfalls nur um sprachliche Feinheiten geht: die Reichweite der indigenen Autonomie wird im Zedillo-Text wieder deutlich auf den „kommunitären Rahmen“, auf „Sitten und Gebräuche“ und den Geltungsbereich der „bestehenden Gesetze“ beschränkt.

Nicht nur Zapatistensprecher Marcos, auch die Verfasser der Vorlage äußerten sich erbost. „Das ist ein völlig anderer Text“, meinte Cocopa-Parlamentarier Juan Guerra gegenüber der Presse, „die Regierung hat das Abkommen damals offenbar mit der Absicht unterschrieben, es nicht zu erfüllen.“

Die Cocopa erwägt nun, ihre ursprüngliche Gesetzesinitiative ohne präsidialen Segen im Parlament einzubringen. Eigentlich sollten die Verfassungsreformen vom mexikanischen Parlament noch im Januar oder Februar beschlossen werden. Das halten Beobachter angesichts der offiziellen Verzögerungstaktik für nun so gut wie ausgeschlossen.

Damit aber rückt auch die Wiederaufnahme der Anfang September suspendierten Verhandlungen mit der Guerilla wieder in weite Ferne, denn die Umsetzung des vor fast einem Jahr unterzeichneten ersten Verhandlungsergebnisses war eine der zapatistischen Bedingungen für die Wiederaufnahme des Dialogs gewesen. Und das Thema der nächsten Runde, wann auch immer sie beginnen mag, heißt „Demokratie“ – das dürfte sich noch um einiges komplexer gestalten. Anne Huffschmid