CDU entdeckt ein Herz für Kinder

■ Unmut selbst bei den Christdemokraten: Zehn junge Konservative wollen Kanthers Eilverordnung kippen. Zwei junge Türken sind die ersten Opfer. Sie durften nach den Weihnachtsferien in Instanbul nicht mehr nach Hause

Bonn (taz) – Mit öffentlichem Protest aus den eigenen Reihen muß sich Bundesinnenminister Manfred Kanther (CDU) auseinandersetzen. Seit Mittwoch brauchen in Deutschland lebende Kinder aus der Türkei und Exjugoslawien eine Aufenthaltsgenehmigung – selbst wenn sie hier geboren und aufgewachsen sind. Diese neue Regelung des Innenministeriums wird nun auch von Teilen der CDU hart kritisiert.

Zehn Bundestagsabgeordnete der Partei haben gestern eine scharfe Erklärung veröffentlicht, in der sie die Einführung der Genehmigungspflicht ablehnen. „Eine große Verunsicherung“ der Betroffenen sei zu befürchten. „Wir wollen, daß die Bundesregierung den Teil der neuen Verordnung zurücknimmt, der die Situation für die hier lebenden Kinder verschärft“, erklärte Peter Altmaier, einer der Unterzeichner, gegenüber der taz. „Wir hätten mit Sicherheit viel mehr Kollegen finden können, die sich uns angeschlossen hätten, wenn wir mehr Zeit gehabt hätten.“

Minister Kanther hatte die neue Verordnung im Eilverfahren durchgebracht. Die Kabinettskollegen stimmten im postalischen Umlauf zu. Eine Aussprache zum Thema gab es weder in der Fraktion noch in der Ministerrunde. Die CDU-Gegner der Verordnung wollen demnächst eine Diskussion in der Fraktion erzwingen. In Unionskreisen hieß es gestern, Minister Kanther habe mit seinem Vorgehen auch bei Teilen der Fraktionsführung „nicht nur Begeisterung“ ausgelöst.

Bündnis 90/Die Grünen hatten zum Thema eine Aktuelle Stunde des Bundestags beantragt. Darin schilderte ihr einwanderungspolitischer Sprecher Cem Özdemir die Folgen der Verordnung: Am Mittwoch hätten zwei acht und neun Jahre alte türkische Kinder, beide in Deutschland geboren, nach den Weihnachtsferien in Istanbul heim nach Ulm zu den Eltern reisen wollen. Am Flughafen wurden sie von der Fluggesellschaft abgewiesen, da im Paß keine Aufenthaltsgenehmigung stand. „Dieser Fall ist nur einer von vielen, von denen unser Büro in den letzten Tagen erfahren hat“, sagte Özdemir später zur taz. Die Kinder, die in Deutschland zur Schule gehen und für einige Tage beurlaubt gewesen waren, seien noch immer in Istanbul.

Die neue Verordnung wurde auch von der SPD-Abgeordneten Cornelie Sonntag-Wolgast als „familienfeindlich“ und „überflüssig“ bezeichnet. Für hier geborene oder aufgewachsene ausländische Kinder müßten vielmehr „endlich erleichterte Einbürgerungsmöglichkeiten“ geschaffen werden. Verständnis zeigte die Sozialdemokratin allerdings für die ebenfalls neu eingeführte Visumpflicht für Kinder, die nicht in Deutschland leben.

Innenminister Kanther verteidigte die gesamte Verordnung mit dem Argument, dem „Schlepper-Mißbrauch“ und hundertfachem „Kinderimport“ müsse ein Ende bereitet werden. Die Zahl unbegleiteter Minderjähriger an den Grenzen sei in den letzten zwei Jahren rapide angestiegen. Schlepperorganisationen seien „eine Szene, die man nicht einfach gewähren lassen kann“.

Die Ausländerbeauftragte der Bundesregierung Cornelia Schmalz-Jacobsen (FDP) ließ in ihrer Rede bei grundsätzlicher Zustimmung Kritik am Verfahren durchscheinen. Nach einem Eilverfahren sei eine sachliche Debatte „immer schwierig“. Die werde aber gebraucht.

Angelika Beer von den Grünen warf Minister Kanther vor, „ein neues Kapitel ausländerfeindlicher Politik“ aufgeschlagen zu haben. Sie rief alle Landesregierungen auf, die Verordnung abzulehnen.

Bei denen liegt nun das letzte Wort. Der Bundesrat muß der Verordnung in drei Monaten zustimmen, sonst ist sie nichtig. Letztlich wird es also von der SPD abhängen, die in dem Gremium die Mehrheit hat, ob es bei der umstrittenen Regelung bleibt. Bettina Gaus Debatte Seite 10