Revisionismus als Klassenaufsatz

An einem Gymnasium im baden-württembergischen Crailsheim ließ ein Lehrer jahrelang seine Schüler über rechtsextreme Thesen Aufsätze schreiben. Der Pädagoge wurde suspendiert  ■ Von Basil Wegener

Plötzlich ist alles ganz schnell gegangen. Jahrelang duldete ein Gymnasium, daß seine Klassenzimmer als besondere historische Bastelstube dienten: In revisionistischer Kleinarbeit suchte Eduard Huber allgemeine Wahrheiten über die Deutschen und ihre Geschichte zu zerlegen. Auch in der Kleinstadt, zu deren Kulturträgern das Gymnasium zählt, war vielen dieses Wirken bekannt. 30.000 Einwohner gibt es im ostwürttembergischen Crailsheim, und zwei Hauptstraßen. Da bleiben ungewöhnliche Ansichten eines promovierten Studienrats nicht lange geheim, vor allem wenn der mit Ausstellungen zum Zweiten Weltkrieg und Fernsehauftritten auf sich aufmerksam macht.

Doch erst nach einem Artikel in der örtlichen Lokalzeitung, Hohenloher Tagblatt, wurde die Arbeit des Lehrers gestoppt, und zwar gleich mit einem brachialen Dekret. Die Aufsichtsbehörde, das Stuttgarter Oberschulamt, suspendierte Huber kürzlich bis auf weiteres vom Dienst, ein Rechtsstreit vor dem Stuttgarter Verwaltungsgericht ist wahrscheinlich.

Derweil prüft auch der Staatsanwalt im benachbarten Ellwangen den Fall. Im Crailsheimer Albert-Schweitzer-Gymnasium hatte der Lehrer seinen Schülern Aufgaben gestellt, die zu merkwürdigen Ergebnissen führten: „These 1: Die Endlösung der Judenfrage bestand darin, daß die Juden im Ostteil von Weißruthenien angesiedelt wurden. These 2: Dort werden sie heute noch von Rußland in einer Art Gefangenschaft gehalten.“

Diese Ausführungen entstammen dem Referat einer Schülerin. Sie faßte ein im Selbstverlag erschienenes Buch eines Steffen Werner zusammen, das der rechtsextreme Tübinger Grabert-Verlag vertrieben hatte und das 1995 verboten wurde. Weiter hieß es dem Referat, die Juden seien in die russischen Pripjetsümpfe deportiert worden, wo sie heute noch für die Russen schuften würden. Auch in Crailsheim gäbe es genügend Gründe, auf solche bizarren Darlegungen mit heller Empörung zu reagieren. Eine Jüdische Gemeinde verhalf dem zwischen Stuttgart und Nürnberg gelegenen Städtchen in der Zwischenkriegszeit zu seiner Stellung als Handelszentrum in der Provinz. Heute ist dieser Zusammenhang vergessen, Einkaufsstadt ist Crailsheim geblieben. Nur auf dem jüdischen Friedhof erinnert ein Stein an 52 Opfer des Nationalsozialismus.

In der Schule blieb es aber allein der Referentin vorbehalten, Kritik zu üben, was sie nur sehr behutsam tat. Heftigen Protest löste statt dessen das Lokalblatt aus, das diese und andere Ungeheuerlichkeiten ausführlich zitierte. Der Bote war für viele der Böse: „Bildzeitungsmanier“ wurde den Lokaljournalisten in Leserbriefen vorgehalten, „gleiche Maulkorb-Denkmuster“ wie in der NS-Zeit attestiert.

Dabei waren den Schülern noch weitere dunkle Assoziationsräume geöffnet worden in jenem Grundkurs zwischen Sommer 1994 und Sommer 1996. Hitler habe vornehmlich „Chancengleichheit, unabhängig von Herkunft, Einkommen, Beruf und Eltern“ herstellen wollen. Den Krieg hätten die Polen mitverursacht. Juden? Nazis? Widerspruch legte von den 17jährigen niemand ein. Alles nur hinderlicher Paukstoff. Und daß der Lehrer da vorn Geschichte eigenwillig buchstabiert, war bekannt. Bereits 1989 hatte nämlich die Lokalzeitung über eine Ausstellung am örtlichen Gymnasium berichtet, in der Lehrer Huber den Polen die Schuld am Kriegsausbruch gab.

Warum betraute eine im Geist Albert Schweitzers arbeitende Schule ausgerechnet diesen Lehrer damit, den Schülern den Krieg zu erklären? Wolf Späth wandert in seinem Büro umher und kramt Aktenordner hervor. Schließlich findet der Schulleiter heraus, daß es damals offenbar einen „personellen Notstand“ gegeben habe. Die Ausstellung 1989 war noch von Späths Vorgänger sehr duldsam behandelt worden. Jüngere Geschichtslehrer wurden damals im Kollegium kritisiert, weil sie sich öffentlich von der Ausstellung des Kollegen distanziert hatten. Der zuständige Fachbereichsleiter, Karl Durspekt, fragt sich noch heute, welcher der untreuen Gesellen damals das Lokalblatt informierte. Die hartnäckige Taubheit von Pädagogen, aber auch von Eltern und Schülern mußte bei Lehrer Huber den Eindruck erwecken, seine revisionistischen Thesen würden toleriert.

Die von Bürgern in SA-Uniform forcierte Vertreibung der Juden, die im Ort beschäftigten Zwangsarbeiter, die unheilvolle Geschichte des örtlichen Militärflughafens: All das stemmt sich erst seit einer großen Ausstellung zum Kriegsende 1996 allmählich ins Crailsheimer Bewußtsein. Nach jahrzehntelanger CDU-Herrschaft übernahm 1991 ein Sozialdemokrat das Rathaus, und erst heute soll das Stadtarchiv aus einem größtenteils unzugänglichen Keller ins städtische Museum umziehen. Ein Manuskript über die Geschichte des Ortes im „Dritten Reich“ liegt noch unveröffentlicht herum.

Hubers Umfeld hingegen hatte sich an die revisionistische Grundtendenz offenbar gewöhnt. Schließlich erläuterte Huber vor seinem Rausschmiß eifrig, aufgrund welcher Quellen er zu welchen Thesen kam. Auch berichtete der 60jährige, ein Schwabe mit langen grauen Haaren, er habe im Zweiten Weltkrieg fast seine gesamte Familie verloren. „Ich war immer nur Opfer, nie Täter.“ Der promovierte Lehrer war stets freundlich, ja sympathisch. Recht gern würde er mit allen diskutieren, sagte er.

Huber sei „einer der belesenen und intelligenten Kollegen“, so formulierte es Schulleiter Späth. Andere Epochen nahm der Pädagoge seriös durch. Gegen das Vorgehen von Staatsanwaltschaft und Oberschulamt regt sich an der Schule heute Unmut: „Eine Sauerei“, urteilt eine Mutter.

Das Geschichtsbild des Dr. Huber ist nämlich alles andere als ein singuläres Ereignis, auch wenn der Individualist kaum Teil eines rechtsextremen Netzwerks sein dürfte. In den Schulheften finden sich die Namen der rechten Historiker Dirk Kunert und Hans-Dietrich Sander. In einem Text ohne Quellenangabe, der den Crailsheimer Schülern ausgeteilt wurde, heißt es: „Die Westdeutschen sollten nie aus ihrer ,Schuld‘ entlassen werden, da sonst die entscheidende Voraussetzung für ihre politische und finanzielle Erpreßbarkeit entfallen würde.“

Im Klassenzimmer saß nur einer, von dem überliefert ist, daß ihn diese grobgestrickte Bastelarbeit doch ein wenig verstörte, und das ist ein Türke. „Ich hätt' schon gern was gesagt“, meint er. Aber es seien doch genügend Deutsche dagewesen, „und das ist ja ihre Geschichte.“