Guten Flug, heilige Maria!

Zur Sommerzeit brummt es im Flughafen Frankfurt. Fast stündlich hebt eine Maschine Richtung Mallorca ab. Und alle Passagiere stehen Schlange: vor dem Check-in und vor den Toiletten  ■ Von Christine Berger

Eine wohltuende Stille liegt über dem Andachtssaal der Frankfurter Flughafenseelsorge im Terminal 1. Die hölzerne Mutter Gottes in der Ecke schaut liebevoll auf die leeren Sitzreihen. Sie ist ein Geschenk der Lufthansa. Reisende aus aller Welt suchen jeden Tag bei ihr Trost und versuchen auf diese Art, die Flugangst in den Griff zu kriegen. Manchmal bekommt die heilige Maria auch Besuch von Flugkapitänen und Stewardessen. Dann sitzen sie auf Stühlen, die auch aus einem Wartezimmer stammen könnten, und beten gemeinsam für einen guten Tag ohne Pannen und Pleiten.

Ein Stockwerk tiefer stehen derweil die Sommertouristen Schlange an den Check-in-Schaltern der Chartergesellschaft Condor. Ihre Ziele liegen auf den Kanaren, Ibiza und vor allem Mallorca. Fast stündlich startet im Juli ein Flieger Richtung Mittelmeerinsel. „Räkel, streck, fläz – Condor hat den größten Sitzabstand unter deutschen Ferienfliegern“, wirbt ein riesiges Plakat hinter den Reihen. In manchen Flugzeugen geht es zu wie in Kaninchenställen.

Zur Sommersaison ist Platz auch in den Abflughallen rar. Besonders im Juli tummeln sich auf dem zweitgrößten Flughafen Europas die Passagiere von bis zu 1.200 Fliegern pro Tag. Bei sechzig bis neunzig Starts und Landungen in der Stunde ist vor allem in Terminal 1 die Hölle los. Quengelnde Kinder und schlechtgelaunte Mütter und Väter balgen sich dann um die Sitzreihen in Halle B und versuchen Sack und Pack im Auge zu behalten.

Im Restaurant Lilienthal vis- à-vis verlustieren sich derweil die Besserverdienenden, löffeln Hühnersuppe zu 7,20 Mark und versuchen den Pauschalmob mit einer Zeitung als Sichtschutz zu ignorieren. Gewinner im Gewimmel sind die Möwenpick-Stände rundum: Sie haben wohl schon so manche Meuterei unter mißmutigen Passagieren mit Creme Apricot und Macao auf Eis gelegt.

Daß die Billigflüge der Pauschaltouristen in aller Herrgottsfrühe in die Luft gehen, ist der Preis für den gesparten Zaster. Zu nachtschlafender Zeit um 4.40 Uhr hebt bereits die erste Maschine nach Fuerteventura ab. Wer den Check-in eine Stunde früher nicht verpassen will, schläft gleich vor dem Counter.

Hat der Abflug dann aus irgendeinem Grund Verspätung, sinkt die Stimmung. Das bekommt vor allem Senöl Hiyid zu spüren. Sie ist Toilettenfrau in Halle B. Müssen die Fluggäste warten, ist auch in ihren zwei Dutzend Toilettenkabinen Hochbetrieb. „Die Leute heulen sich aus und schimpfen“, stellt die Türkin fest. Sie arbeitet seit 22 Jahren auf dem Flughafen und hat schon einiges erlebt. Zum Beispiel, daß zur Rush-hour manche Männer ihr großes Geschäft im Urinal verrichten oder einfach auf den Boden scheißen. Die Zeiten, als Fliegen noch Menschen mit Geld und guten Manieren vorbehalten war, sind lange vorbei. „Früher war es besser“, bringt es die zierliche Frau auf den Punkt und wischt resolut zwischen den Beinen der wartenden Zwangsgemeinschaft den Boden.

Hundert Rollen Klopapier verteilt sie an manchen Tagen. Zwischen 8 und 10 Uhr ist der Ansturm besonders groß. Dann steht Frau Hiyid der Schweiß auf der Stirn. Und nicht nur ihr: Auch in der Flughafenapotheke herrscht dann Hochbetrieb. Ohne Apotheker Varctimidis Jamis hätte wohl so mancher Passagier seine Reise schon in der Abflughalle gleich wieder abgebrochen. „Sechzig Prozent meiner Kunden kaufen Beruhigungsmittel“, berichtet er. Zu Beginn der Sommerferien kommen Jamis und seine drei Kolleginnen kaum zur Ruhe. Da wird auf die Schnelle noch Pflaster besorgt, Sonnenmilch made in Germany oder Klosterfrau Melissengeist. Man weiß schließlich nie, was einen am Urlaubsort erwartet.

Im Beate-Uhse-Center dagegen wird es um diese Jahreszeit ruhiger. Weniger Geschäftsreisende verirren sich in die Pornokinos. In ihrer Rolle als Familienväter haben sie wohl nicht mehr die Courage, sich die Zeit vor dem Abflug am gewohnten Ort zu vertreiben.

Zum Warten sind die meisten auf dem Flughafen verdonnert – mehr oder weniger. Helmut Romer wollte schnell für eine Woche nach Gran Canaria jetten, „Sonne tanken“, wie er sagt. Doch dann kam die böse Überraschung. Das Flugzeug hatte eine Panne. Er saß schon drin, wartete zwei Stunden auf dem Flugfeld, um dann wieder aussteigen zu müssen. „Der Schaden sei doch erheblicher als angenommen, wurde uns gesagt“, so Romer. Jetzt wartet er auf seinen Ersatzflug und ist sauer. „Ein Urlaubstag futsch“, meint er und will sich bei der Fluggesellschaft eine Entschädigung abholen.

Vorerst spült er seinen Frust mit einem Piccolo weg. Im Terminal C natürlich, „da, wo es nicht so voll ist und man raussehen kann“. Als erfahrener Vielflieger kennt der Unternehmer den Frankfurter Flughafen in- und auswendig. Im führerlosen Skyway-Zug von Terminal B nach C, dann immer Richtung „Food Plaza“. So nennt sich die Freßplattform mit Ausblick auf das Rollfeld. Als gut verdienender Mensch schlürft Romer seinen Sekt bei Fisch-Gösch, der Edelgrätenkette aus Sylt. Das Flughafenproletariat hat unterdessen bei McDonald's Platz genommen. „Hier sitzen auch viele, die gar nicht abfliegen“, gibt eine Angestellte preis. Vielen gehe es um die Aussicht auf die Flugzeuge, ein idealer Ort, um die Langeweile zu vertreiben. „Wenn man arbeitslos ist, was soll man sonst auch machen?“, meint die Burgerfee. Daß man in erster Reihe vor dem Aussichtsfenster sitzen darf, auch ohne etwas zu verzehren, ist eines der wenigen sozialen Aspekte des Fast-food-Unternehmens.

Zu Ferienbeginn gleicht der Flughafen einem riesigen Ameisenhaufen. Im Terminal C, wo die Flüge nach den USA abgefertigt werden, ist die Umgangssprache Amerikanisch. Daß doch etliche ehemalige Soldaten der Army in Deutschland geblieben sind, ist hier unschwer zu erkennen. Die langen Schlangen vor den Schaltern nehmen an manchen Tagen kein Ende. Wer wohin fliegt, wissen nur die Passagiere selbst, weil sie ihre Flugnummer kennen. Orte sind aus Sicherheitsgründen auf den Check-in-Schildern nicht vermerkt.

Familie Jackson hat sich geduldig in die viele Meter lange Schlange vor der Abfertigung zum Flug nach Atlanta eingereiht. Bepackt mit Unmengen von Koffern und Taschen machen sie sich einmal im Jahr auf die große Reise über den Teich. Daß die Flüge zur Sommerzeit so teuer sind, ärgert sie. „Wegen unserer Kinder können wir nur in den Ferien reisen, und das tun alle anderen natürlich auch.“

Daß sich aus Kostengründen immer mehr Familien dafür entscheiden, ihre Kinder früher aus der Schule zu nehmen, macht sich auch auf dem Flughafen bemerkbar. Längst sitzen in den Charterflugzeugen zwei Wochen vor und nach den großen Ferien Familien mit schulpflichtigen Kindern. Und manchem Kind, das vor der Zeugnisvergabe abgehauen ist, bleibt nur noch das Beten im Andachtssaal von Terminal 1. „Nicht ganz so viele Fünfen, heilige Maria, und ansonsten einen guten Flug!“