Wenn ein Fluß sich erinnert

■ Holzgewordene Träume: David Seven Deers Totempfahl wird heute im Innenhof des Museums für Völkerkunde aufgestellt

Es gibt Geschichten, die kann man nicht in Worte fassen. Man kann sie nicht lesen, aber sehen und erkennen: in einem Gesichtsausdruck, in einem Stein, einem Fluß oder auch in einem Totempfahl. Heute wird der Totempfahl des indianischen Künstlers David Seven Deers im Museum für Völkerkunde aufgestellt.

Fast drei Jahre lang hat er im Innenhof des Museums an seinem 12 Meter langen Kunstwerk aus einem 608 Jahre alten Zedernstamm gearbeitet. Der Pfahl ist im Stil des Stammes der Skwahla-Stò:lo-Halkomelem von der Nordwestküste Kanadas gehalten und zeigt die Sinnbilder des kulturellen und physischen Lebens der Indianer.

Im Totempfahl hat David Seven Deers die Geschichte und Träume festgehalten, für die er keine Worte findet. Hier in Europa, will seinem Volk helfen, das kulturelle Gedächtnis zu wahren, seine Hoffnungen voranzubringen. Eine davon ist ein Rundhaus, ein spirituelles Zentrum. David Seven Deers arbeitet hierfür auf vielfältige Weise. Zum einen erweckt er seine Traditionen in Europa etwa durch einen Totempfahl zum Leben, zum anderen hat er ein Buch über sein Volk herausgegeben.

Für ihn und seinen Stamm war klar, daß ihre Geschichte nicht von weißen Geschichtswissenschaftlern geschrieben werden konnte. Sie können die Skwahla nur als Außenstehende betrachten – niemals aber begreifen.

Es gibt nur einen, der die Geschichte der Skwahla erzählen kann. Und das ist nicht etwa der Häuptling oder David Seven Deers selbst. Es ist der Fluß Stolo. Er kennt sich damit am besten aus, „weil er Zeuge unseres Lebens war von Anfang an. Wir kommen vom Fluß, ohne unseren Fluß gäbe es uns nicht. Der Fluß hat unsere Leiden miterlebt und mit uns gelitten“, schreibt David Seven Deers im Vorwort zum Buch Die Menschen an meinem Ufer.

Bevor er nach Europa kam, gaben ihm die Stammesältesten das dreißig Jahre im verborgenen gehaltene Manuskript mit auf den Weg. Ursprünglich hatte er nicht vor, es als Buch zu veröffentlichen. Es sollte nur ein Wegbegleiter sein. „Stolos Gedächtnis ist unser Wissen“, schreibt David Seven Deers weiter im Vorwort. Erst die Besucher des Museums, denen er während seiner Arbeit an dem Totempfahl aus den vielen Geschichten vorlas, brachten ihn auf diesen Gedanken, ein Buch zu veröffentlichen.

In ihm erzählt Stolo, zwischen Fantastischem und Realität pendelnd, aber damit genau die Wahrheit seines Stammes in allem Umfang treffend, die Geschichte der Skwahla. Davon, wie die weißen Eroberer kamen, die die Kultur der Indianer zerstörten. Wie sie Bergen, Flüssen und Tälern andere Namen gaben und das ganze Land an sich rissen. Stolo konnte die Geschichte natürlich nicht selbst aufschreiben. Andere haben sie für ihn notiert. Aber der Fluß war das einzige Medium für eine Kulturgeschichte, für die andere keine Worte finden konnten.

Stolo ist nicht nur mit magischer Eloquenz bestückt, er kann den Indianern jetzt auch helfen, ihre Kultur wieder aufzubauen. Denn der Erlös des Buches wird für den Bau des geplanten Rundbaus verwendet. Das Buch ist auch ein Vermächtnis. Bisher wurde die Geschichte der Skwahla immer nur mündlich überliefert. Für die folgenden Generationen, falls irgendwann niemand mehr Worte für das Geschehene finden sollte.

Oliver Nachtwey

Einweihungsfest des Totempfahls im Museum für Völkerkunde, Samstag 9. August, 13 Uhr. Der Eintritt ist frei

„Die Menschen an meinem Ufer“, Hg. David Seven Deers, Frederking & Thaler Verlag, 29,90 DM