Hochalpines Planquadrat

■ Tom Tykwers neuer Film Winterschläfer thematisiert viel raunenden Tiefsinn statt den freien Fall der Bildlichkeit

Schneetreiben, Gletscherlandschaft. Über hochalpiner Verlassenheit fliegt Tom Tykwers Winterschläfer am Rande der Absturzgefahr: versiert und mit der hartgesottenen Wucht des Begehrens. Spiegelbildlich dazu rast unten im Tal ein Zug durch enge Schluchten, nehmen Fetzen von Telefongesprächen ihren Lauf. Es surrt mit der hysterischen Geschwindigkeit des Thrillers, so lange, bis der Film den Plot an sich gerissen und die Figuren auf ihre Plätze geschleudert hat.

Gemeinsam bewohnen Laura (Marie-Lou Sellem) und Rebecca (Floriane Daniel) ein kleines, verwunschenes Häuschen. Umgeben von den skurrilen Sammelschätzen der verstorbenen Tante. Während Rebecca, männerphantastisch blond und immer rot gewandet (der Film ordnet seine Figuren nach farblich-esoterischem Rollenfach), mit dem Skilehrer Marco (Heino Ferch) zusammen regelmäßig sexuell aktiv ist, spielt sich für die Krankenschwester und Laienschauspielerin Laura das Leben noch sporadischer ab. Erst mit René (Ulrich Matthes) erfüllt sich das Planquadrat. René ist Filmvorführer und als solcher natürlich hervorragend geeignet, dunkler Geheimnisträger und ganz doppelbödige Ambivalenz im Sinne eines ehrgeizigen Regisseurs zu sein.

Seit drei Jahren arbeitet Tykwer (Die tödliche Maria, 1993) zusammen mit den Regisseuren Dani Levy, Wolfgang Becker und dem Produzenten Stefan Arndt als „X-Filmer“nun daran, in deutscher Landschaft die Marke des Hausbackenen vergessen zu machen. Wohl deshalb müssen die hübsch sortierten Paarlichkeiten hinauf in die Höhe. Mit ausgreifenden Überblendungen ins überdurchschnittlich Exemplarische.

Es gehört zu den visuellen Klischees dieses Films, daß mittendrin der Bauer Leo (Josef Bierbichler) die archaisch-tragische Vermittlung der Bild- und Sinnhorizonte übernehmen muß. Das Glück wird ihm genommen, nur damit es an einer anderen Stelle wieder auftauchen und den raunenden Tiefsinn der Geschichte sicherstellen kann.

Dabei geht es doch eigentlich nur um die Frage, wer mit wem letztlich welche bürgerliche Zukunft hat. Am Ende jedenfalls stellt sich genau das wieder her, was der Film im freien Fall virtuos durchbrechen wollte: die unschuldige glatte Fläche des Blicks.

Elisabeth Wagner

Abaton