„Ihr werdet sterben, ihr werdet sterben“

Neue Morddrohungen gegen brasilianische Umweltschützer. Amnesty international hat dazu eine „Urgent action“ gestartet. Der Mord an einem Greenpeace-Mitarbeiter ist seit 1993 unaufgeklärt  ■ Aus Rio de Janeiro Patricia Sholl

Fernando Henrique Cardoso versprach im Präsidentschaftswahlkampf von 1994 seinen 160 Millionen brasilianischen Landsleuten unter anderem mehr Sicherheit und Menschenrechte. Doch weil Berufskiller und Todesschwadronen weiter wüten, ist das Lebensrisiko auch für engagierte Umweltschützer hoch. Neuestes Beispiel: Miriam Prochnow und Wigold Schaeffer, Leiter der angesehenen regierungsunabhängigen Organisation (NGO) „National Environment Foundation“ mit Sitz in der Stadt Rio do Sul, Teilstaat Santa Catarina in Südbrasilien.

„Ihr werdet sterben, ihr werdet sterben“, zigmal wiederholt, hören sie Ende Oktober auf dem Anrufbeantworter. Eine andere Stimme warnt: „Wir sprechen Drohungen nicht nur aus.“ Beide sollten sich von einer Abholzungsstelle fernhalten. Das Ehepaar kämpft seit Jahren erfolgreich für die Reste des Atlantikwalds „Mata Atlantica“, von dem an der rund 8.000 Kilometer langen Küste Brasiliens bereits über 95 Prozent gerodet und abgebrannt wurden. Zwar gelten theoretisch auch im relativ hochentwickelten, von Nachfahren deutscher Einwanderer besiedelten Santa Catarina strikte Umweltschutzgesetze – dennoch erließ der Gouverneur des Teilstaats jetzt ein eigenes Gesetz, das Kahlschlag und andere umweltschädliche Aktivitäten im Mata Atlantica der Region erlaubt. Miriam Prochnow und Wigold Schaeffer sind dafür bekannt, sich gegen die Interessen von Holzfirmen, Tabakanbauern oder Immobiliengesellschaften zu wenden.

Weil die Morddrohungen ernstgenommen werden müssen, hat sich jetzt amnesty international (ai) Deutschland in einer Urgent Action des Falls angenommen. Die Organisation kritisiert besonders, daß die zuständigen Behörden nicht ermitteln: „Amnesty international ist in großer Sorge um das Paar und seine beiden Kinder.“ Empfohlen wird, Appelle an Santa Catarinas Gouverneur Paulo Afonso Evangelista Vieira und dessen Sicherheitschefin Lucia Maria Stefanovich zu schicken.

1980 überlebt im Amazonas- Teilstaat Acre der Kautschukzupfer und Naturschützer Chico Mendes verwundet das erste Attentat, 1988 wird er – nunmehr bereits zu „demokratischen“ Zeiten – ermordet. Sein Freund, der engagierte Reporter Elson Martins da Silva, kann tagelang nicht aus dem Haus gehen, weil davor demonstrativ Pistoleiros warten. Silva flüchtet schließlich aus Acre in den mehrere tausend Kilometer entfernten Teilstaat Amapá – die Menschenrechtslage hat sich in Chico Mendes Heimat kaum verändert, kirchliche Aktivisten weisen auf Polizeifolter und Todesschwadronen hin.

1993 wird nach einer Serie von Morddrohungen in Vitoria, Hauptstadt des nordöstlichen Teilstaates Espirito Santo, der Greenpeace-Mitarbeiter Paulo Vinhas erschossen – bis heute ist der Fall unaufgeklärt, obwohl es an Verdächtigen nicht mangelt. Laut amnesty-Einschätzung ist die Menschenrechtslage in dem Teilstaat besonders prekär, die Polizei gilt als hochgradig korrupt, sogar mit Berufskillern durchsetzt, wie Insider gegenüber der taz betonen.

Roberto Kishinami, Leiter des Greenpeace-Büros in São Paulo, erläutert, daß besonders im Hinterland die Lebensgefahr für Umweltaktivisten enorm sei: „Die Autoritäten, darunter Umweltministerium und Polizei, haben nie Schutz- oder Präventivmaßnahmen ergriffen, Untätigkeit ist die Regel.“ Gerade für kleine Gruppen fern der Großstädte und des informellen Kontakts zu Öko- Netzwerken und NGOs wie Greenpeace sei der Faktor Sicherheit ein großes Problem. Nicht anders ergehe es den Aktivisten der Landlosenbewegung MST, die Angaben über Morddrohungen und Pistoleiro-Anschläge seien bekannt. Kishinami stimmt zu, daß politisch motivierte Morde keineswegs selten als Raubüberfälle mit Todesfolge hingestellt werden. Der Greenpeace-Mann weist auf die Lage im Teilstaat Mato Grosso do Sul hin: Nachdem im Oktober ein bekannter Radioreporter und Menschenrechtler auf offener Straße mit 13 Schüssen ermordet wurde, gelang es lokalen Bürgerrechtsgruppen, die Zustände wenigstens publik zu machen. Danach wurden in den letzten zwei Jahren allein im Bereich der auch durch Serienselbstmorde von verzweifelten Indios bekannten Stadt Dourados nachweislich von Berufskillern fast 300 Menschen erschossen, über 90 „verschwanden“.