Quantensprung des Afro-Pop

„I'm goin' back to my roots“: Unter dem Label Weltmusik fährt die afrikanische Popmusik nun auch ökonomisch mit vollen Segeln. New African World Beat heißt ein erfolgreicher Platten-Sampler, einzeln betrachtet  ■ von Daniel Bax

„I'm hearing only bad news on Radio Africa“, klagte Mitte der Achtziger die britische Band Latin Quarter. Die Nachrichten aus Afrika mögen sich seitdem nicht wesentlich gebessert haben. Die Musik schon und damit auch, ein klein wenig zumindest, die Außenwahrnehmung des Kontinents.

Unüberhörbar haben sich in der letzten Dekade afrikanische Klänge weit nach vorne gespielt im internationalen Konzert. Heute werden sie als „Weltmusik“ vermarktet. Nicht wenigen afrikanischen Künstlern gelang seither der Sprung vom Insider-Geheimtip zur Mainstream-Popularität.

Und warum? Zum einen natürlich, weil der aktuelle Afro-Pop anständig swingt, gleichzeitig aber eine attraktive, nicht zu aufdringliche „ethnische“ Färbung aufweist. Aber auch ökonomische Faktoren spielen selbstredend eine wichtige Rolle: der nicht uneigennützige Einsatz von „Entwicklungshelfern“ wie Peter Gabriel oder Paul Simon etwa oder Frankreichs Musikindustrie, die zum wichtigsten Förderer und Distributor afrikanischer Klänge geworden ist, zur Drehscheibe für den Zugang zum globalen Markt. Der zentrale Produktionsort Paris bedingt dabei eine bestimmte Ästhetik, die auch eine internationale Hörerschaft anzusprechen vermag. Was wiederum Standards setzte, die sich auf die Machart der Konkurrenzproduktionen auswirkte.

„New African World Beat“ nennt sich eine Compilation- Reihe, die mit der jüngst erschienenen Doppel-CD bereits zur Trilogie angewachsen ist und die sich so gut verkauft, daß schon T-Shirts zur CD-Reihe bestellt werden können. Schöne bunte Ethno- Welt. „New African World Beat“ dokumentiert jedenfalls den kommerziellen Quantensprung des Afro-Pop.

Prominente Namen wie Manu Dibango, Papa Wemba und Angélique Kidjo locken auch den weniger bewanderten Afrika-Enthusiasten, doch reduziert sich das Programm des Samplers nicht auf ein uninspiriertes Hit-Abfeiern. Appetit macht etwa der feine Mandingo-Pop eines Fode Baro aus Guinea, der unweigerlich zum beiläufigen Hüftwippen animiert, wie auch der elegante Mbala-Funk des Senegalesen Thione Seck, dessen Stimme so kristallklar rüberkommt, als könne man damit Glas schneiden. Zu den Höhepunkten zählt der in seiner monotonen Melancholie schwer hypnotische Mali-Blues eines Bobacar Traore: ein spröder Süchtigmacher. Mehr als die bloße Herkunft vom gleichen Kontinent, die an sich ja ein fragwürdiges Auswahlkritierium ist, verbindet die diversen Interpreten ein ähnlich gelagerter Ansatz: Übersetzung der tradierten Ausdrucksformen lokaler Kulturen des Kontinents in marktgängige Musikformate, was, in unausgesprochenem Sinne, auf das Programm einer Art Pop-Négritude hinausläuft. Und die ist zumindest insofern etwas Neues, als sie einen Abschied darstellt von der früher weit verbreiteten schlichten Adaption musikalischer Moden aus Amerika und der Karibik: Son und Rumba, Reggae und Rock. Heute heißt die Devise mehr denn je: going back to my roots.

Das „typisch Afrikanische“ bewegt sich demnach nicht zwangsläufig in den engen kontinentalen Grenzen, sondern ist eine Stilrichtung, die auch Afro-Europäerinnen einschließt, etwa Zap Mama- Mutter Marie Daulne, ihre Ex- partnerin Sally Nyolo oder die burundische Diplomatentochter Khadja Nin, die sich als tropischer Sade-Ersatz andient.

Kein Zufall, daß sich friedensbewegte panafrikanische Botschaften durch den gesamten Sampler ziehen: „Stop the War“, singen Ansuma Bangura aus Sierra Leone wie auch Askia Modibo aus Mali, während Senegals Schmusebarde Ismael Lo schlicht und einfach Frieden für Afrika fordert, auf Wolof: „Jammu Africa“. Und Pierre Akendengue aus Gabun beklagt in „Maladité“ die chronische Krankheit des afrikanischen Kontinents: schwach und abhängig von westlicher Medizin, die nicht hilft, aber teuer zu bezahlen ist.

„Africa Unite“, die konsensfähige Hymne der südafrikanischen Supergruppe Bayete, ist auch auf einem weiteren Sampler enthalten, der in tribalistisch-schickem Tigerfell-Look glänzt und einfach „South Africa“ heißt, Unterzeile „From Native Chants to African HipHop“. Bayete gehören zu den unbestrittenen Stars der Post- Apartheid-Ära. Politisch schwer korrekt, spielten sie beim Staatsbesuch Nelson Mandelas in der Londoner Royal Albert Hall auf, und kommerziell schwer erfolgreich, stürmten ihre Stücke die südafrikanischen Charts. Bayete sind, wie weitere Songs der Sammlung zeigen, symptomatisch für den neuen südafrikanischen Sound. Einerseits pflegen sie überlieferte Stammesgesänge und integrieren heimische Folklore, andererseits haben sie eine Vorliebe für wenig raffinierten Allerwelts-Stampfbeat, der an hiesige Exotik-Hits wie Dr. Albans „Hello Africa“ und „Kalimba de Luna“ gemahnt. Gleiches gilt für die Abo Babes, die Township-Variante der Spice Girls, oder für die Produzenten-Legende Selo „Chicco“ Twala: mehr globale Dorfdisco als lokale Eigenart. Am Kap nennt man das Kwaito.

Der ist nicht ohne Reiz. Doch im Vergleich dazu besaß der „Bubblegum“ genannte Township-Pop, dessen Basis der hüpfige Township-Jive bildet, letztlich mehr Eigenständigkeit. Man höre sich dazu „legends“ an, die flotte Melodie der einstigen „Bubblegum“-Prinzessin Yvonne Chaka Chaka. Der tonangebende Stil der Achtziger mag heute schon etwas altmodisch angestaubt wirken, doch klingt er wesentlich individueller im Ohr als seine modernen Nachkommen, die heute in Südafrika Top of the Pops sind. Abgesehen von den vielen traditionsreichen Stilen wie Jazz, Reggae und Gospel in ihren dezidiert südafrikanischen Spielarten oder Kwela, dem fröhlich Pennywhistle-FlötenJive. Einzelne Vertreter dieser Genres runden die vielseitige Südafrika-Kollektion exemplarisch ab und vermitteln einen flüchtigen Eindruck von der enormen stilistischen Vielfalt des Landes.

In Sachen Popmusik war Südafrika, des Kulturboykotts wegen, lange Jahre praktisch abgeschnitten von seinen Nachbarländern im Norden. So langsam findet das Land jedoch wieder den Anschluß an sein afrikanisches Umfeld und erhofft sich sogar, eine Vorreiterrolle zu spielen bei der weltweiten Promotion afrikanischer Popmusiken. Mit den sogenannten Kora- Awards, die seit letztem Jahr alljährlich vergeben werden, hat man vor kurzem ein gesamtafrikanisches Äquivalent zum amerikanischen Grammy geschaffen, und mit dieser Ehrung werden insbesondere bereits etablierte Musiker bedacht. In diesem Jahr waren das Senegals Schnulzenkönig Ismael Lo und Benins Disco-Queen Angélique Kidjo als beste afrikanische Künstler, der Senegalese Cheikh Lo als interessantester Newcomer. Hier zeigte sich einmal mehr das bestehende Übergewicht des frankophonen Afrika.

Die Preisverleihung wurde übrigens per Satelliten-TV in ganz Afrika übertragen, die Inszenierung des Ereignisses sollte Hollywood-Maßstäben entsprechen. Sie fand in Sun City statt, jener berühmt-berüchtigten südafrikanischen Glücksspieloase, die in einem Anti-Apartheid-Song zum Inbegriff des Kulturboykotts wurde. „I ain't gonna play in Sun City“, hieß es damals. Lange ist's her.