Am lichten Busen der Natur

■ Telegene Totenbalz: van Zomerens „Das Mädchen im Moor“

Der Anfang des Romans ist telegen und serientauglich: Unterwegs auf seinem Fahrrad findet ein Mann die Leiche eines jungen Mädchens. Das Mädchen im Moor.

Wie leicht hätte sich hier ein Derrick oder ein Kommissar anschließen lassen. Koos van Zomeren aber, ein in den Niederlanden sehr bekannter, in Deutschland bislang nur wenig übersetzter Autor, verzichtet auf das kriminologische Mobiliar. Für ihn gibt es keinen Fall, sondern allein den Finder Egge, der seine verstörende „Entdeckung“umsetzt in die irritierende „Enthüllung“der eigenen Befindlichkeiten. Genau einen Tag braucht der Biologielehrer, um seine leicheninspirierte Reise, die toten Gefühle und die sterbenden Beziehungen hinter sich zu bringen. Bis er am Abend endlich Abschied nimmt von seiner Frau. Was bleibt, hat jedenfalls trotzigerweise bloß noch mit ihm selbst zu tun – „und mit niemandem sonst“.

Van Zomeren bringt seinen Protagonisten leitmotivisch in die Nähe zur jugendlichen Toten, nähert dadurch seine am Gedankenpuls des Ich-Erzählers entwickelte Geschichte einem heimlichen Bild von Frauenhaß und Lebensangst. „Mit einer Andeutung von Zustimmung, von Dankbarkeit sogar, ließ ich meine Augen erneut über ihren Körper wandern, unscheinbar und graziös – wie ein Buchstabe aus einem fremden Alphabet.“

So gesehen wäre der Tod des Mädchens ein Reflex auf des Helden Unfähigkeit zur Liebe einerseits und, passend nekrophil, auf seine erotischen Phantasien andererseits. Letztere entzünden sich am toten Objekt, um von dort aus auf die Altersklasse der Lebenden überzuspringen. In Gestalt einer ehemaligen Schülerin, die der Wanderer durch die Stadt verfolgt, oder als Traumgesicht, das den Träumer beim Aufwachen noch einen Moment lang erschreckt.

Es sind Stilfiguren des Thrillers, kleine, lakonisch plazierte Hinweise auf dunklere Schichten des Psychogramms, die den Leser mitten im erzählten Alltag auf die schräge Möglichkeit des Obskuren verweisen sollen. Daß die Phantasie dann doch im Oberwasser versickert, liegt schließlich an der allgegenwärtigen Reflektionsschablone des Romans, an der Biologie und den weidlich ausgeführten Beobachtungen am lichten Busen der Natur. Lebenskonflikte hin, Abschiedsgedanken her. Die Psyche tickt anders als es die Balz des Neuentöters vermuten ließe.

Elisabeth Wagner

Koos van Zomeren: „Das Mädchen im Moor“, Roman, Steidl Verlag, 1997, 142 Seiten, 28,- Mark