Ihre Hilferufe fanden kein Gehör – Exfrau ermordet

■ Allein in diesem Jahr wurden 59 Spanierinnen von ihren Ehemännern umgebracht

Madrid (taz) – 40 Jahre hatte Ana Orantes mit ihrem ärgsten Feind gelebt. Die Nachbarn in Cullar Vega, einem kleinen Dorf bei Granada, wußten, daß die 60jährige täglich durch die Hölle ging. Und doch überhörten alle immer wieder die Hilfeschreie, die von den Mißhandlungen durch den Ehemann zeugten. Keiner wollte sich einmischen, selbst dann nicht, als die Mutter von elf Kindern Anzeige bei der Polizei erstattete.

Vor Verzweiflung über deren Untätigkeit suchte Ana Orantes schließlich bei der allmittäglichen Talkshow im andalusischen Regional-TV Canal-Sur Zuflucht. Die völlig aufgelöste Frau erzählte vor laufenden Kameras ihren Leidensweg voller Schläge und Vergewaltigungen. Die Mißhandlungen gingen selbst nach der Scheidung vor zwei Jahren weiter. Der Exehemann brauchte dazu nur eine Treppe höher zu gehen. Denn dem Scheidungsrichter war nichts besseres eingefallen, als die beiden auch weiterhin zur Teilung des ehelichen Hauses zu verdammen. Sie bekam die obere Wohnung zugesprochen, er die untere. „Ich habe Angst um mein Leben“, gestand Ana Orantes im Fernsehen. Das war vor zwei Wochen. Alle hörten es, keiner tat etwas.

Am Mittwoch nachmittag drang Exehemann José P. A. (den vollständigen Namen gibt die Polizei nicht bekannt) in die Wohnung von Ana Orantes ein, schlug sie halb bewußtlos, zerrte sie auf den Hinterhof, fesselte sie an einen Stuhl, übergoß sie mit Benzin und legte dann Feuer. Als die jüngste Tochter (14) von der Schule kam, fand sie ihre Mutter in Flammen um ihr Leben kämpfend. Jede Hilfe kam zu spät. Der Täter, José P. A., stellte sich zweieinhalb Stunden später der Polizei.

„Das ist leider kein Einzelfall“, sagt Consuelo Avril, Direktorin der Kommission zur Untersuchung von Mißhandlungen an Frauen. Die in Madrid ansässige regierungsunabhängige Gruppe zählt 59 ermordete Ehefrauen allein in diesem Jahr. „Eine Frau alle sechs Tage“, rechnet Consuelo Avril vor.

Beim kostenlosen Notruftelefon gehen jährlich um die zehntausend Anrufe ein. Mißhandelte Frauen erkundigen sich nach Frauenhäusern und Rechtsbeistand. 17.730 Anzeigen wurden in diesem Jahr bereits wegen Mißhandlung erstattet. Doch die Dunkelziffer liegt weit höher. „Wir gehen davon aus, daß die Anzeigen nur fünf Prozent der tatsächlichen Fälle von Mißhandlungen erfassen“, schätzt Avril.

Warum dieses traurige Panorama des spanischen Beziehungslebens? „Hier herrscht bei vielen Männern ein völlig veralteter, machistischer Ehrenkodex vor. Die Frau ist Privatbesitz. In dem Augenblick, wo sie nicht funktioniert, wie es der Mann für richtig hält, bestraft er sie“, analysiert Consuelo Avril.

Ihre Kommission fordert besondere Gerichte für mißhandelte Frauen, die von psychologischem Beistand über Ermittlungen und Gerichtsverfahren alles unter einem Dach vereinigen, wie dies in Schweden bereits der Fall ist. Ginge es nach den Frauen der Kommission, müßte Gewalt in der Familie fortan als schwerer Straftatbestand behandelt werden. Bisher sehen die Richter darin eher ein Kavaliersdelikt. Immer wieder werden prügelnde Männer vom Gericht unter Hausarrest gestellt. Das Opfer wird so gleich mitbestraft. Reiner Wandler