Der letzte Beduine kam aus England

■ Wilfred Thesiger bereiste in den 40ern Rub' Al-Khali, die größte Wüste Saudi-Arabiens

Das Buch ist nicht einfach ein Reisebericht. Es ist ein Bekenntnis: zur Wüste, zu einem Leben außerhalb der Zivilisation, fern der Automobile und Städte.

Eigentlich ist der Brite Wilfred Thesiger ein Anachronismus. Im 20. Jahrhundert, und zwar schon seit dessen Beginn, gibt es kein echtes Entdeckertum mehr. Das Touristische haftet jedem an, der sich auf Reisen begibt. Im 19. Jahrhundert waren die Europäer schon bis ins Herz des „Schwarzen Kontinents“ vorgedrungen, die weißen Flecken auf der Landkarte waren getilgt.

Die Faszination, die Thesigers Buch bei seinem Erscheinen 1959 auslöste, wirkt bis heute fort. Sie besteht schlicht darin, daß man ihm den Entdecker abnimmt. Er ist zwar de facto nicht der erste Europäer, der Rub' Al-Khali, das „Leere Viertel“, ein Wüstengebiet in Saudi-Arabien, durchquert. Das hindert ihn aber nicht daran, echten Entdeckergeist zu versprühen. Als er das erste Mal die ersehnte Wüste vor Augen hat, fühlt er sich nicht weniger königlich als Richard Burton, der bedeutendste Afrikaforscher des 19. Jahrhundert. Als erster Europäer erblickte dieser die Quellen des Nils. (Daß beide für sich in Anspruch nehmen, den jeweiligen Anblick für sich allein zu haben, obwohl sie von Einheimischen begleitet werden, sei nur nebenbei erwähnt.)

Indem Thesiger sich aus seiner Zeit ausklinkt, kann er ohne falsche Patina seiner Vorliebe für die Vergangenheit, seinem Wunsch nach Simplizität des Lebens Ausdruck verleihen. Er weiß, er paßt nicht in die europäisch-zivilisierte Gesellschaft, er gehört in die Wüste. Im Gegensatz zu vielen anderen Wüstenfans ist es nicht ihr visueller Reiz, der ihn „gefangen hält“. Er sucht, was andere Europäer fernhält: die Kargheit der Landschaft, die Härte des Lebens, die Nervenzehrung durch die dauernden Strapazen.

Anders als seine Nachfolger, insbesondere der vielgepriesene Bruce Chatwin, destilliert er aus seiner Erfahrung nicht eine allgemeingültige Theorie des Nomadismus. Die Sehnsucht nach der Wüste bleibt seine persönliche Eigenart. An tiefschürfenden Reflexionen über das authentische Dasein der Wüstenstämme ist ihm nicht gelegen. Die „Bedu“ dürfen beim Melken in die Vagina der Kamelkuh blasen, damit die Milch desto besser läuft, ohne daß diese Beobachtung zu einer Dekodierung des Geschlechterdiskurses führt. Er findet es schlicht beeindruckend, deshalb erzählt er davon.

Thesigers Bericht von seinen Reisen in Arabien ist ein spannendes Buch, das sich von anderen Wüstenerzählungen wohltuend abhebt. Gerade weil es eher nach Karl May denn nach der Realität unseres Jahrhunderts klingt. Martin Hager

Wilfred Thesiger: „Die Brunnen der Wüste. Mit den Beduinen durch das unbekannte Arabien“. Piper Verlag, München 1997, 357 Seiten, 19,90DM