Ein langer Weg

■ Ein kleines Pressebüro arbeitet in Ungarn gegen alltäglichen Rassismus gegenüber Roma

Das Büro liegt in einer kleinen Wohnung im 9. Bezirk von Budapest. An den Wänden des Roma- Pressezentrums in der ungarischen Hauptstadt hängt zwischen Bildern bunt gekleideter Menschen die Kopie eines Briefes des Bürgermeisters von Polgárdi, einer Kleinstadt im Westen des Landes. Das Stadtoberhaupt bittet eine Rentnerin, ihre Wohnung nicht wie geplant „an Zigeuner zu verkaufen“; sie solle doch „an die Zukunft der Stadt denken“. Sollte sie den Verkaufsvertrag entgegen seiner Aufforderung doch unterschreiben, werde er ihre Unterbringung in einem Altenheim rückgängig machen.

Solch amtlicher Rassismus gegen Roma ist Alltag in Ungarn. Dennoch wäre ein Fall wie der von Polgárdi früher wohl kaum in die Medien gekommen. Obwohl in dem Zehn-Millionen-Land etwa 600.000 Roma (und zahlreiche andere Minderheiten) leben, herrschte bislang in vielen Redaktionen Desinteresse, Unwissen oder Ignoranz.

Seit Ende 1995 das Roma-Pressezentrum RSK gegründet wurde, sind Quantität und Qualität der Berichterstattung über Roma immerhin gestiegen. Dabei will man ausdrücklich kein Sprachrohr von Roma-Organisationen sein, wie RSK-Leiter György Bernáth betont, sondern eine unabhängige Nachrichtenagentur.

Derzeit werden neun Redakteure und Mitarbeiter beschäftigt, und das RSK verfügt über ein Korrespondentennetz in 12 von 19 ungarischen Kreisen. Finanziert wird das RSK im wesentlichen von der Stiftung des Börsenspekulanten George Soros. Gelder kommen aber auch von anderen Stiftungen, aus einem EU-Programm oder von ungarischen Banken. Auf Spenden und Sponsoring ist das Zentrum angewisesn, weil es seine Dienste umsonst anbietet. Anderenfalls, sagt Bernáth, würden die meisten Zeitungen auf die Nachrichten verzichten. Nur für längere Exklusiv-Features und -Reportagen bekommen die Autoren ein Honorar von der jeweiligen Zeitung.

Auch ausländische Medien können die RSK-Nachrichten benutzen, etwa über die Internet-Homepage (http://www.romapage.c3.hu/ rsk.htm), denn die meisten Materialien werden ins Englische übersetzt.

Etwa die Hälfte der RSK-Journalisten, darunter auch sein Leiter György Bernáth, sind keine Roma. Die Journalistin Elza Lakatos, die ihrerseits Romni ist, sieht darin jedoch kein Problem. „Es gibt nur wenige professionelle Journalisten unter den Roma. Deshalb bildet das RSK neben seiner Tätigkeit als Presseagentur jährlich eine Anzahl von Roma als Journalisten aus. In ein paar Jahren werden wir dann auch die Leitung des RSK übernehmen.“ Sie hat vor zwei Jahren selbst eine Journalisten-Ausbildung beim RSK absolviert. Zuvor arbeitete die Volkswirtschaftlerin beim Gemeinderat einer Kleinstadt. Jetzt ist sie beim RSK für Kultur und Traditionen der Roma zuständig.

Mehr als 500 Agenturmeldungen und etwa 100 Features und Reportagen haben die RSK-Journalisten bisher geschrieben. Von den Meldungen sind etwa zwei Drittel in mindestens einer Tageszeitung erschienen. Dabei kann sich das RSK zugute halten, auf manche Themen erstmals aufmerksam gemacht zu haben. Etwa auf das Problem der ungarischen Sonderschulen, in welche man „zurückgebliebene Kinder“ schickt, wie es offiziell heißt. Etwa die Hälfte der 40.000 Kinder an diesen Schulen sind Roma. Seit RSK-Journalisten herausfanden, daß Roma-Kinder oft grundlos in diesen Schulen landen, kümmert sich im Bildungsministerium eine Kommission um den Fall.

Doch hat das Roma-Pressezentrum weder das Bild der Roma noch den alltäglichen Rassismus ändern können. Neueste Meinungsumfragen besagen sogar, daß im Vergleich zu früheren Jahren deutlich mehr Ungarn Roma ablehnen – unabhängig von ihrem sozialen Status oder ihrer Weltanschauung. „Es wird wohl noch viele Jahre dauern“, meint Elza Lakatos, „bis die Vorurteile über uns weniger werden.“ Keno Verseck