Abgang eines Völkermörders

Im kambodschanischen Dschungel äschern die Roten Khmer Pol Pot ein  ■ Von Jutta Lietsch

Bangkok (taz) – Das Ende Pol Pots war eine makabre Angelegenheit: Seine geblümte Matratze auf alten Autoreifen diente als Unterlage für den Scheiterhaufen mit dem rohen Holzsarg, ein Bündel mit seinen Kleidern und ein umgestürzter Rattansessel lagen obenauf. Soldaten gossen Benzin nach, um das Feuer zu beschleunigen. Fernsehkameras surrten, einige thailändische Militärs und ein kleines Trüppchen Roter Khmer schauten ungerührt in die Flammen.

Keiner seiner alten Freunde, die zum Teil seit über drei Jahrzehnten an seiner Seite in der Führung der Roten Khmer saßen, tauchte am Samstag vormittag bei der unzeremoniellen Einäscherung neben der Holzhütte auf, in der Pol Pot gestorben war. Von Bedauern oder Trauer gab es keine Spur – im Gegenteil.

Die Funktionäre aus dem harten Kern der Organisation, die jetzt an der Grenze zu Thailand, von Regierungstruppen bedrängt, um ihr Überleben kämpfen, haben derzeit nur ein Ziel: die Welt davon zu überzeugen, daß sie mit Pol Pot nichts zu tun haben. Der berüchtigte Militärchef Ta Mok, der den „Bruder Nr. 1“ letztes Jahr als „Verräter“ zu Hausarrest verurteilen ließ, formulierte es mit der ihm eigenen Kälte: Pol Pot sei „nutzlos wie Kuhmist“ gewesen. Und der Soldat Non Nou, ein Sprecher der Gruppe, erklärte: „Die Roten Khmer gibt es nicht mehr.“ Der Tod Pol Pots habe das schlechte Image der sich nun „Nationale Solidaritätspartei“ nennenden Truppe beseitigt, meinte er. „Alles ist vorbei.“

Doch die Hoffnung der Hardliner, sie könnten jetzt alle Schuld für die Verbrechen der Roten Khmer auf ihren toten Ex-Chef abwälzen, mit der Regierung in Phnom Penh einen Waffenstillstand verabreden und straffrei bleiben, könnte enttäuscht werden. Denn Pol Pot starb just in dem Augenblick, als die USA ernsthafter denn je versuchten, ein Tribunal gegen die Verantwortlichen des Terrorregimes zu organisieren, die Kambodscha von 1975 bis 1979 beherrschten und unter denen über eine Million Menschen starben. Präsident Bill Clinton hat die kambodschanische Regierung am Wochenende offiziell gebeten, keinem der noch im Dschungel kämpfenden Führer der Roten Khmer eine Amnestie anzubieten. Gleichzeitig wies Clinton Experten an, Klageschriften gegen die wichtigsten überlebenden Funktionäre vorzubereiten.

Unklar ist, wo ein Prozeß wegen Völkermords stattfinden soll: Ohne Zustimmung Chinas kann der UN-Sicherheitsrat den Internationalen Gerichtshof in Den Haag nicht beauftragen, ein Verfahren zu übernehmen. Eine andere Möglichkeit wäre ein Tribunal zum Beispiel in Kanada, Deutschland oder Schweden. Die Gesetze dieser Länder erlauben es, über Verbrechen gegen die Menschlichkeit zu richten, auch wenn diese in einem anderen Teil der Welt geschahen. Die UNO hat inzwischen eine dreiköpfige Kommission unter dem ehemaligen obersten Richter von Mauritius, Rajsoomer Lallah, gebildet, um die Taten der übrigen Roten-Khmer-Führer zu untersuchen.

In den USA hat der Tod Pol Pots eine neue Debatte über „einen unrühmlichen Augenblick in der amerikanischen Geschichte“ ausgelöst, wie zum Beispiel die Baltimore Sun kommentierte. Bei den geheimen Flächenbombardements durch die Amerikaner zwischen 1969 und 1973 kamen Hunderttausende Kambodschaner um. Nachdem vietnamesische Truppen Ende 1978 in Kambodscha einmarschierten, war jedes Mittel recht, den alten Feind Vietnam zu ärgern. Die USA halfen China, Pol Pot und die Roten Khmer wieder aufzurüsten, „um sicherzugehen, daß sie die vietnamesischen Besatzer bekämpften“, erinnert die Kambodscha-Expertin Elizabeth Becker in der New York Times.

„Ich ermutige die Chinesen, Pol Pot zu unterstützen“, hatte US- Sicherheitsberater Zbigniew Brzezinski damals gesagt. Deshalb sperrten sich die US-Regierungen bis weit in die neunziger Jahre gegen die Idee eines Tribunals wegen Völkermords gegen Pol Pot und die Roten Khmer. Erst unter Präsident Bill Clinton, einst Gegner des Vietnamkriegs, hat sich dies geändert.