„Ein Embargo hätte katastrophale Folgen“

■ Die stellvertretende bulgarische Außenministerin Antoinette Primatarova befürchtet, daß die umliegenden Balkanländer von der Kosovo-Krise in Mitleidenschaft gezogen werden könnten

taz: Die Situation in der serbischen Provinz Kosovo droht zu eskalieren. Gibt es Befürchtungen in Bulgarien, daß andere Staaten des Balkan in Mitleidenschaft gezogen werden könnten?

Antoinette Primatarova: Diese Befürchtungen gibt es. Schließlich beträgt die kürzeste Strecke zwischen Bulgarien und dem Kosovo gerade 56 Kilometer. Sollten sich die Auseinandersetzungen verschärfen, könnte der Funke schnell überspringen.

Die Kontaktgruppe hat am vergangenen Wochenende einen Investitionsstopp gegen Belgrad verhängt. Was würde ein mögliches Embargo gegen Jugoslawien für Bulgarien bedeuten?

Die Auswirkungen wären katastrophal. Wir würden von den wichtigsten Handelspartnern in der Europäischen Union abgeschnitten. Immerhin machen Exporte in die EU über 40 Prozent des bulgarischen Handels aus. Dadurch würde unser Zeitplan bezüglich der Beitrittsverhandlungen mit der EU und die beginnende Stabilisierung der bulgarischen Wirtschaft zunichte gemacht.

Ungeachtet der negativen Auswirkungen für Bulgarien – halten Sie ein Embargo oder Sanktionen in dieser Region überhaupt für ein probates Mittel, um bestimmte politische Ziele durchzusetzen?

Völlig abschotten läßt sich die Region nicht. Im Gegenteil: Schmuggel und Schwarzhandel werden sich ausbreiten. Das führt zu einer starken Kriminalisierung in Südosteuropa und wirkt sich auf Europa insgesamt negativ aus. Der Weg eines Embargos ist zu einfach. Nach außen vermittelt er den Eindruck, daß entscheidende Maßnahmen ergriffen werden. Doch die wirklichen Kosten sind viel zu hoch und lohnen sich für niemanden.

Welche außenpolitische Linie verfolgt Bulgarien angesichts der Krise im Kosovo?

Die bulgarische Regierung vertritt eine sehr aktive regionale Politik und setzt dabei auf präventive Diplomatie. Wir werten es als Erfolg, daß es uns gelungen ist, die Nachbarländer in dieser Hinsicht zu einer gemeinsamen Deklaration zusammenzubringen.

Das Bekenntnis zu einer Mitgliedschaft in Nato und EU war ein wesentlicher Bestandteil des Wahlprogramms der Vereinigten Demokratischen Kräfte (ODS). Die Regierung unter Kostow ist über ein Jahr im Amt. Ist Bulgarien diesem Ziel nähergekommen?

Was einen Beitritt zur Nato angeht, so haben wir seit dem Machtantritt von Ivan Kostow einen großen Schritt nach vorn gemacht. Die Reform der Streitkräfte im Hinblick auf Auflagen und Normen der Nato wurde in Angriff genommen. Wir sind zuversichtlich, daß Bulgarien in die nächste Erweiterungsrunde miteinbezogen wird. Auch unseren Zeitplan, mit der EU spätestens im Jahre 2001 Beitrittsverhandlungen aufzunehmen, glauben wir einhalten zu können. Die finanzielle Situation im Land hat sich stabilisiert, und es gibt erste Anzeichen für ein Wirtschaftswachstum. In diesem Zusammenhang ist auch unser Engagement in der Region zu sehen. Ein sicheres Südosteuropa wird ein entscheidender Beitrag zur Sicherheit in Gesamteuropa sein. Das ist unser Beitrag, den wir in die EU einbringen. Deshalb greift die Diskussion über Kosten und Nutzen der Osterweiterung, wie sie augenblicklich geführt wird, auch zu kurz. Interview: Barbara Oertel