El Niño in Mexiko: Die Armut als Streichholz

■ Mit den Bränden wird der Smog plötzlich sichtbar, Experten prangern Regierung an

Mexiko-Stadt (taz) – Buchstäblich atemberaubend ist seit letzter Woche die Luftqualität in der mexikanischen Hauptstadt, und Teile des Landes stehen seit Monaten tatsächlich in Flammen. Nachdem am Wochenanfang die Ozonwerte in Mexiko-Stadt über den Grenzwert geklettert waren, sah sich nun auch die neue linke Stadtregierung erstmals zur Ausrufung des Smogalarms gezwungen. Zwei Drittel aller Autos müssen, abhängig von den Nummernschildern, am Tag jeweils in der Garage bleiben. Auch die Industrieproduktion muß um 30 bis 40 Prozent reduziert werden, die BewohnerInnen sollen möglichst zu Hause und die Fenster geschlossen bleiben.

Zwar gehört die Luftverpestung für die 20 Millionen HauptstädterInnen, die Capitalinos, schon lange zum Lebensgefühl. Neu aber ist diesmal, daß der Smog nun wirklich sichtbar wird: Seit Tagen liegt ein feiner Rußschleier über der Stadt, die Luft riecht förmlich nach Rauch, und selbst der chronische Sonnenschein ist in diesigen Dunst gehüllt. Denn zusätzlich zu den bekannten Luftverpestern sind es dieser Tage vor allem die Brände am Stadtrand, die für dickere Luft sorgen.

Über 1.500 Wald- und Wiesenbrände haben an den Hängen des Talkessels, in den die Hauptstadt gebettet ist, schon jetzt über 4.000 Hektar Boden verwüstet. Tausende von Helfern konnten die Flammen bislang noch nicht unter Kontrolle bringen. Allein in den letzten Tagen sind 40.000 Personen wegen Atemwegserkrankungen in Gesundheitszentren und Hospitälern behandelt worden.

Aber auch im Rest des Landes wütet das Feuer. Seit Jahresanfang sind aufgrund der extremen Dürre bis jetzt rund 330.000 Hektar verbrannt, knapp ein Viertel davon Waldgebiete. Pro Tag kommen 300 neue Brände dazu. Besonders bedroht sind auch die 800.000 Hektar mexikanische Tropenwälder, die zu den artenreichsten auf der ganzen Welt zählen.

Als Hauptschuldiger für die extreme Trockenheit gilt das Klimaphänomen „El Niño“. Die warme Meeresströmung im Pazifik wird von Meteorologen bekanntlich für Wetterschwankungen in aller Welt verantwortlich gemacht. Und während El Niño in Südamerika vor allem zu Überschwemmungen führt, vertreibt er in Mittelamerika eher die Regenwolken.

Die Brände aber sind nach Ansicht von Experten fast ausschließlich durch Menschen verursacht: Neben fahrlässigen Brandstiftungen und Spekulationen über die Machenschaften von Drogenkartellen, die einen Teil der Brände zur Ablenkung der Behörden gelegt haben sollen, findet sich derzeit vor allem die bäuerliche Tradition der Brandrodung auf der Anklagebank. Das Abfackeln des Bodens vor der Regenzeit ist besonders für arme Bauern die billigste Form, das Land vor der Neuaussaat zu säubern. So sei „die Armut das eigentliche Streichholz“, schreibt die Tageszeitung Reforma.

Wenn nicht bald der ersehnte Regen einsetzt, könnten nach Schätzungen des Abgeordneten Alvaro López, dem Vorsitzenden der parlamentarischen Landwirtschaftskommission, dieses Jahr rund 40 Prozent der Agrarproduktion verlorengehen. Dann sähe sich das Maisland Mexiko sogar gezwungen, bis zu 17 Millionen Tonnen Getreide zu importieren.

Unabhängige Agrarwissenschaftler wie Pedro Gutiérrez Soria halten das „Gerede vom Niño“ eher für einen Vorwand, um die „schlechte Planung“ der Regierung zu vertuschen. Diese setze im Zuge der Marktöffnung immer weniger auf Selbstversorgung. Die Erzeugerpreise für mexikanische Bauern würden auf niedrigem Niveau gehalten, während die Preise für Dünger und Saatgut immer weiter in die Höhe gehen. So werden selbst mit Regen dieses Jahr 14 Millionen Tonnen Getreide und 2 Millionen Tonnen Fleisch eingeführt werden. Anne Huffschmid