"Sind wir das Sozialamt für die ganze Welt?"

■ "Alle Parteien labern nur Scheiße" - außer DVU und NPD: Sechs Schüler einer Berufsschule für Lackierer und Maler sprechen über ihr Verhältnis zu Ausländern und Politik und fordern, Schwarzarbei

Die taz sprach mit den Schülern einer Berufsschule für Maler und Lackierer in Friedrichshain über rechtsextreme Parolen, Politik und Protest. An dem Gespräch nahmen Lehrlinge des 3. Lehrjahres teil, darunter der Kroate Ivo und der US-Amerikaner Daniel.

Die Schüler stammen aus Ost- und West-Berlin. Sven lebt in Charlottenburg, Lars in Lichtenberg, Karsten in Hellersdorf, Ivo in Schöneberg, Matthias in Weißensee und Daniel in Zehlendorf. Alle Lehrlinge sind zwischen 19 und 22 Jahre alt.

Einige Namen wurden auf Wunsch der Jugendlichen geändert.

taz: Was erwartet ihr von der kommenden Bundestagswahl im September?

Thomas: Daß die CDU kräftig eins auf die Mütze kriegt.

Warum?

Thomas: Weil sie ihre ganzen Versprechungen nicht eingehalten hat. Mit den Arbeitsplätzen zum Beispiel.

Karsten: Die SPD hätte das doch nicht anders gemacht.

Ivo: Schröder kann einfach nicht wirtschaftlich denken.

Welche Partei soll denn gewinnen, damit sich an der jetzigen Lage etwas ändert?

Ivo: Die Partei gibt es noch nicht. Das ist alles der letzte Dreck.

Warum?

Ivo: Na, wegen der Arbeitslosigkeit. Und weil alles immer teurer wird. Irgendwann steigt die Mehrwertsteuer noch auf 20 Prozent und wir bekommen immer noch nicht mehr Geld.

Karsten: Meine Meinung ist, daß alle Parteien immer nur Scheiße labern. Wozu soll ich denn dann wählen? Die entscheiden doch eh, was sie wollen. Das kann sich doch keiner leisten. Schrippen haben mal 28 Pfennig gekostet und kosten jetzt 50. Arbeit hat auch keiner mehr.

Wie soll eine Regierung eurer Ansicht nach die Arbeitslosigkeit sinnvoll bekämpfen?

Thomas: Schwarzarbeiter raus.

Sven: Korrekt!

Thomas: Billiglöhne dürfte es einfach nicht geben.

Du wirst in Deutschland kaum fünf Millionen ausländische Schwarzarbeiter finden. Das alleine löst das Problem nicht.

Sven: Dann gibt es aber schon mal weniger Arbeitslose.

Manche Schwarzarbeiter sind Immigranten, die von Abschiebung bedroht sind, wenn sie aufgegriffen werden.

Lars: Na und, trotzdem raus damit! Das ist doch kein Grund, anderen die Arbeit wegzunehmen.

Sind daran die Schwarzarbeiter schuld oder die Unternehmen, die die Leute zu miesen Bedingungen einstellen?

Thomas: Auch die Regierung. So was darf einfach nicht sein.

Ivo: Man soll auch nicht alle Ausländer rausschmeissen. Aber Schwarzarbeiter schon.

So ähnlich hat auch die DVU in Sachsen-Anhalt argumentiert und auf Anhieb 13 Prozent der Stimmen bekommen.

Ivo: Voll in Ordnung!

Sven: Die meisten haben wahrscheinlich DVU gewählt, weil sie den anderen nicht vertrauen.

Warum vertrauen sie der DVU, die bis vierzehn Tage vor der Wahl niemand kannte?

Daniel: Die haben gesagt, daß sie Arbeitsplätze schaffen. Nur wie, das haben sie leider auch nicht gesagt!

Aber Parolen hatten sie parat: „Arbeit zuerst für Deutsche“ und „Kriminelle Ausländer raus!“

Lars: Vollkommen korrekt. Die anderen Parteien mußten mal richtig in den Arsch getreten werden. Jetzt ist die DVU drin und kann ihre Meinung vertreten.

Was soll sie denn sagen?

Lars: Viel. Die Partei wird immer als rechtsradikal abgetan, dabei hat sie noch nie eine Chance gehabt. Auch jetzt werden die DVUler doch nur fertiggemacht.

Würdest du sie wählen?

Lars: Ich würde die NPD wählen. Die hat wenigstens schon ein Wahlprogramm. Außerdem ist sie in Berlin besser organisiert.

Was würde passieren, wenn die DVU plötzlich 30 Prozent bekäme und die Regierung stellen würde?

Lars: Dann muß wohl was dran sein an ihnen.

Ivo: Das ist doch ein Hilfeschrei. Da sehen junge Leute einen Türken mit seinen vier Kindern in einem BMW herumfahren. Der hat einen Hund, Arbeit und Geld. Ist doch klar, daß ein Deutscher sagt: Wie bitte, und ich bin in meinem eigenen Land arbeitslos?

Sven: Ist doch gut, wenn eine Partei mal zeigen will, daß es auch anders geht. Vor allem junge Leute spricht das an.

Thomas: Na, wenn man sich anhört, was die Abgeordneten so erzählen...

Da ist nicht einer dabei, der sagt, was sie machen wollen.

Matthias: Ich finde das auch gefährlich. Nachher wird uns wieder so ein Hitler vor die Tür gesetzt. Ich hab' schon genug Probleme mit Glatzen, die finden, daß Ausländer und Langhaarige rausgehören.

Viele DVU-Wähler legen auf den Zusatz „kriminell“ vor dem „Ausländer raus!“ keinen gesteigerten Wert. Es wird weder differenziert, wo die Leute herkommen, noch aus welchen Gründen sie fliehen mußten.

Lars: Ja, Wahnsinn. Sind wir hier das Sozialamt für die ganze Welt? Ich hab' mal nach Kreuzberg reingeguckt, da sind ja alle vertreten, von Schwarz bis Dunkelgrün. Und das in Massen!

Gelächter.

Patrick: Ist doch so!

Lars: Da werden 23 Bosnier abgeschoben und 500 kommen mit dem nächsten Zug. Von denen bleiben dann auch wieder 470 über. Na dufte! Keiner geht freiwillig. Die finden das einfach schön hier. Und wir sind so blöde und zahlen das! Uns lacht doch jeder aus!

Ivo: Wenn in meinem Land jemand abziehen würde, was die Ausländer hier machen, würde ich auch Amok laufen.

Es kann doch nicht sein, daß ein Ausländer besser lebt, als ein Deutscher in seinem eigenen Land.

Die Bosnier kriegen jetzt 1.000 Mark, damit sie wieder gehen. Die Lage da unten ist nicht mehr so schlimm.

Thomas: Na, ist doch gut. Dann sollen sie die 1.000 Mark nehmen und verschwinden.

Haben wir Deutsche nicht schon aufgrund unserer Geschichte eine besondere Verpflichtung gegenüber Menschen, die ihr Land verlassen müssen?

Lars: Nein. Das Ding ist gelaufen. Was kann ich denn dafür? Oder er? Oder du?

Ist jemand anderer Ansicht?

Kopfschütteln.

Daniel: Wer wird denn heutzutage noch politisch verfolgt? Gibt es das überhaupt noch?

Sven: Andere Länder machen das auch nicht anders. Wenn ich als Deutscher in die Türkei gehe, heißt es auch ganz schnell, ich soll mich verpissen.

Was geht in euch vor, wenn ihr seht, daß Jugendliche Wohnheime von Flüchtlingen anzünden?

Lars: Die, die das machen, haben doch nichts mehr zu verlieren. Keine Freundin, keine Eltern, keinen Job. Ich weiß auch nicht, was ich in der Situation tun würde. Außerdem ist das doch vorbei. 1991 war das halt so ein Modetick.

Daniel: Ich traue mich aber heute noch nicht nach Marzahn.

Thomas: Na und. Wir Deutsche haben Angst, nach Kreuzberg oder Schöneberg zu gehen. Die Türken sind immer noch gewaltbereiter als Skins.

Ivo: Außerdem stehen da an jedem U-Bahnhof Dealer rum. So gesehen ist es echt gut, daß das mit der DVU jetzt hochgekommen ist. Vielleicht war es der letzte Hilfeschrei.

Matthias: Also, ich kann nur noch in Prenzlauer Berg und Friedrichshain frei herumlaufen.

Patrick: Du mit deinen langen Haaren...

Matthias: Klar, wenn ich in Lichtenberg mit 'ner Bomberjacke ankommen würde, würden alle sagen: Hey Kunde, biste neu hier?

Habt ihr eine Vorstellung, wie dieses Land in zehn Jahren aussieht?

Sven: Dann gibt's hier gar keine Deutschen mehr.

Thomas: Und wir sind eine Kolonie der Türkei.

Lars: Hauptsache, sie gehen alle nach Kreuzberg. Da sollen sie ruhig leben, und damit basta.

Thomas: Und irgendeiner marschiert dann mal mit einer Pump- Gun rein... Interview: Jeannette Goddar