Dioxinwolken aus Straßburg

Abgase aus grenznahem französischem Müllofen 360mal höher mit Dioxin belastet als in Deutschland erlaubt. Ärzte-Initiative Kehl fordert baldige Stillegung  ■ Von Bernward Janzing

Freiburg (taz) – Nach jahrelangen Bemühungen ist es Umweltschützern erstmals gelungen, von den Behörden Dioxinmeßwerte der Hausmüllverbrennungsanlage in Straßburg zu erhalten. Die Daten sind verheerend: Zwischen 4 und 20 Nanogramm Dioxin je Kubikmeter Abgase stießen die vier Müllöfen in der ersten Meßperiode im März 1995 aus, zwischen 2,5 und 36 Nanogramm in der zweiten Meßperiode im Oktober 1996. Damit wurde der in Deutschland geltende Grenzwert von 0,1 Nanogramm in Straßburg zeitweise um das 360fache überschritten.

Die Ärzte-Initiative Kehl, die sich Anfang der 90er Jahre durch ihren Kampf gegen einen geplanten Giftmüllofen in Kehl in der Region großes Renommee erworben hat, fordert nun, die „unverantwortliche Form der Abfallbeseitigung“ in dem veralteten Straßburger Ofen zu beenden. Bis zum 1. Januar 2000 müsse die Anlage stillgelegt werden, zumal im nahe gelegenen Mulhouse eine ganz neue Müllverbrennungsanlage stehe, die nicht ausgelastet sei.

Die Ärzte-Initiative Kehl empörte sich darüber, daß die jetzt veröffentlichten Werte zehnfach höher liegen als frühere Werte, die von den Betreibern des Müllofens immer wieder genannt wurden. So kommen die Umweltmediziner zu dem Fazit: „Alles in hohem Maße unseriös.“ Sie werfen dem Betreiber der Anlage „Manipulation und Täuschung“ vor. Der Betreiber habe, so erklärt der Sprecher der Kehler Ärzte-Initiative, Roland Knebusch, den miesen Standard verschweigen wollen. „Denn die Anlage in Straßburg zählt zu den schlechtesten in ganz Frankreich.“

Auch die Umweltverwaltung der deutschen Grenzstadt Kehl hatte sich wiederholt dafür stark gemacht, daß der benachbarte französische Müllofen den Standards der Bundesrepublik angepaßt wird – ohne Erfolg. Dabei bläst die Straßburger Anlage noch heute soviel Dioxin in die Luft wie deutsche Müllöfen Ende der 80er Jahre. Ein „mieses Beispiel deutsch-französischer Kooperation“ nennt Mediziner Knebusch das französische Desinteresse an der Luftreinhaltung.

Die Umweltschützer können es unterdessen als großen Erfolg verbuchen, daß sie nach jahrelangen Auseinandersetzungen mit den Behörden endlich die offiziellen Straßburger Meßwerte erhalten haben – dem europäischen Umweltrecht sei Dank. Als sich der Bund für Umwelt und Naturschutz (BUND) vor einiger Zeit an das zuständige Landratsamt Ortenau wandte, um von dort die Dioxinwerte zu erhalten, blockierte die Behörde noch. Die Meßdaten seien „verwaltungsintern“, und man sei „nicht befugt, die Daten weiterzugeben“.

Doch das stimmte nicht. Richtig war vielmehr, daß die Behörde sogar verpflichtet ist, die Daten bei Anfrage zu veröffentlichen. Als der BUND sich schließlich auf das Umweltinformationsgesetz berief, das seit 1990 in ganz Europa den freien Zugang zu solchen Daten regelt, blieb den Behörden keine andere Wahl mehr – sie mußten die Daten herausrücken, wenn sie keinen aussichtslosen Prozeß riskieren wollten.

Das taten sie sehr ungern, nachdem erst im Januar in Nordfrankreich drei Müllöfen wegen zu hohem Dioxinausstoß stillgelegt werden mußten. Dort war die Milch von nahe gelegenen Bauernhöfen derart mit Dioxinen belastet, daß sie nicht mehr verkauft werden durfte. Jetzt hofft Mediziner Knebusch auf politischen Druck auch am Oberrhein – zumal diese Region infolge geringer Luftzirkulationen für Müllverbrennungsanlagen besonders ungünstig sei. Die Umweltschützer erwarten nun, daß die Behörden endlich erklären, wie es weitergehen soll in Straßburg. Unverändert fortbestehen kann die Anlage jedenfalls nicht: In der Region sind die Dioxinwerte in Muttermilch, Kuhmilch und Grasproben schon lange deutlich erhöht.