Bomben gegen den Terror

■ Die US-Angriffe im Sudan und in Afghanistan sollten militante Islamisten treffen. Ob beide Ziele richtig gewählt waren, ist fraglich

Da wegen Hochwasser auf dem Nil die sudanesische Hauptstadt Khartum derzeit ohne Strom ist, muß das nächtliche US-Bombardement wie ein Feuerwerk gewirkt haben. Von drei oder vier Explosionen, die den Himmel hell erleuchtet hätten, sprachen die ersten Meldungen über das, was sich später als US-Raketenangriff herausstellte. Der Fabrikkomplex al- Chifaa, in dem nach US-Angaben Chemiewaffen hergestellt wurden, brannte die ganze Nacht; das Feuer wurde erst gegen Morgengrauen gelöscht.

Der Angriff auf al-Chifaa erfolgte nach US-Angaben mit Marschflugkörpern; nach sudanesischen Angaben war es ein klassischer Bombenangriff, ausgeführt von fünf Flugzeugen. Er zerstörte den 20 Millionen Dollar teuren Gebäudekomplex völlig.

Sudanesische Medien präsentierten al-Chifaa gestern als „eine der wichtigsten pharmazeutischen Fabriken in der arabischen und afrikanischen Welt“. In weiteren Berichten wurde präzisiert, al-Chifaa produziere die Hälfte der im Sudan hergestellten Medizin, stehe mit der UNO für die Lieferungen von Medikamenten in den Irak unter Vertrag und gehöre dem Geschäftsmann Salah Idriss, der seine Karriere in Saudi-Arabien gemacht habe und beide Staatsangehörigkeiten besitze. Sudans Präsident Omar al-Baschir forderte gestern eine UN-Untersuchung, „um die Art der Aktivitäten der Fabrik zu verifizieren“.

Die erste Reaktion auf den US- Schlag kam von der Lufthansa: Eine aus Frankfurt über Kairo anfliegende Maschine wurde wenige Minuten vor der Landung in Khartum nach Ägypten zurückgeschickt. Gestern setzte die Bundesregierung außerdem die Hilfsflüge in den Südsudan aus, die am Montag beginnen sollten. Die zwei Transall-Flugzeuge der Bundeswehr sollten eigentlich gestern in den Sudan starten.

Warum ein Angriff auf eine Chemiewaffenfabrik eine angemessene Antwort auf die blutigen Bombenanschläge auf US-Botschaften in Kenia und Tansania sein soll, blieb gestern das Geheimnis der USA. Vorwürfe, im Sudan würden C-Waffen produziert, erhebt die sudanesische Opposition seit langem und impliziert darin auch den Iran. Nach Oppositionsangaben verfügt der Sudan insgesamt über vier Produktionsstätten für Chemiewaffen, darunter auch Al-Chifaa. Wenn das stimmt, sind auch jetzt noch drei davon intakt.

Als Ziele nachvollziehbarer sind die Einrichtungen, die die USA in Afghanistan bombardiert haben. Die Militärbasis Schawar im Südosten Afghanistans ist nach Angaben des US-Generalstabschefs Henry Sheldon „Zuflucht für Terroristen, die hier die Infrastruktur für ihre internationale Finanzierung haben“. Außerdem würden dort „Terroristen ausgebildet“; die Basis werde sowohl von Ussama Bin Laden wie auch von algerischen und ägyptischen Islamisten genutzt.

In Schawar verkündete der Islamist Usamma Bin Laden im Mai gegenüber pakistanischen Journalisten die Gründung seiner „Internationalen Islamischen Front für den Heiligen Krieg gegen Juden und Kreuzfahrer“. Der exilierte Saudi war 1996 nach Schawar gezogen, nachdem pakistanischen Medienberichten zufolge in seinem vorherigen Unterschlupf Tora-Bora bei Dschalalabad ein Attentat eines seiner Leibwächter auf ihn scheiterte. Für seine Zwecke war Schawar optimal: Keine sechs Kilometer von der Grenze zu Pakistan entfernt und nach drei Seiten durch steile Berghänge abgesichert, könnten Luftangriffe den Stützpunkt nur von Pakistan aus erreichen. Nur aus Pakistan kann Schawar außerdem mit Schützenpanzern erreicht werden, wie sie die USA jetzt bei Bin Laden ausgemacht haben wollen. Aus Afghanistan fehlt eine befahrbare Landverbindung.

Nicht zufällig war Schawar daher auch in den 80er Jahren bevorzugte Basis für die afghanischen Mudschaheddin im Kampf gegen die sowjetischen Truppen in Afghanistan. Die Sowjets hüteten sich damals, Schawar anzugreifen, um diplomatische Verwicklungen zu vermeiden – mit einer Ausnahme: Im April 1986 zerstörten sowjetische und afghanische Kommandos einen Teil des Tunnelsystems, in dem die Mudschaheddin unter anderem eine Moschee, eine Garage, eine Waffenschmiede, einen medizinischen Stützpunkt und eine Funkstation eingerichtet hatten.

Unter Bin Laden war Schawar nach US-Angaben noch erweitert worden. Das Lager besteht heute aus einem Basiscamp, einer „unterstützenden Einrichtung“ und vier Ausbildungslagern. Dominic Johnson

Thomas Ruttig