„Es gibt in Malaysia keine Demokratie“

■ Malaysias Ex-Premierminister Anwar Ibrahim wenige Stunden vor seiner Festnahme über den Machtkampf mit Ministerpräsident Mahathir Mohamad

taz: Warum nennen Sie Mahathir einen Diktator und fordern seinen Rücktritt?

Anwar Ibrahim: Es gibt keine Demokratie. Die Medien stehen unter Kontrolle einer kleinen Gruppe. Wer Kritik übt, bekommt es mit dem Geheimdienst zu tun. Die Polizei schikaniert die Leute. Im ganzen Land sind Menschen festgenommen worden, einige kamen nach Tagen wieder frei, andere blieben verschwunden.

Sie waren lange Zeit Mahathirs enger Vertrauter. Er hatte Sie als Nachfolger vorgesehen. Warum geht er jetzt gegen Sie vor?

Er und seine Leute haben gemerkt, daß ich zu demokratisch bin. Ich wehrte mich zu stark gegen die Korruption. Unsere wirtschaftspolitischen Ansichten stimmten nicht überein. Ich bin dagegen, mit Staatsgeldern die Kinder herrschender Familien vor der Pleite zu retten. Deshalb wollten sie mich loswerden. Denn es steht zuviel auf dem Spiel. Sie waren nicht mehr überzeugt davon, daß ich die Interessen seiner Familie und Freunde schützen würde.

Wie viele Leute sind in den letzten Tagen festgenommen worden?

Es waren im ganzen Land Hunderte. Mahathir hat Angst davor, daß der Druck der Öffentlichkeit gegen ihn stark wird. Mit Gestapo- Methoden wollen sie die Menschen einschüchtern. Dazu gehört auch, sie mit Druck zu Geständnissen zu bringen. Meinen adoptierten Bruder...

Der am Wochenende gestanden hat, mit Ihnen sexuelle Beziehungen zu haben...

Er durfte sich keinen eigenen Verteidiger bestellen, seine Familie wurde nicht informiert, die Verhandlung dauerte nur eine halbe Stunde, dann hat ihn der Richter zu sechs Monaten Haft verurteilt.

Was sagen Sie zu den Vorwüfen, die gegen Sie erhoben wurden?

Nichts davon ist wahr. Die Beschuldigungen wurden konstruiert.

Was wollen Sie jetzt tun?

Ich werde mich weiter für Reformen einsetzen. Wir müssen unser Rechtssystem reformieren, wir müssen dafür sorgen, daß die Menschenrechte und grundlegenden politischen Bürgerrechte respektiert werden. Wir wollen eine gerechtere Verteilung des wirtschaftlichen Reichtums. Die Einschüchterung wird ein Ende haben. Die Leute müssen frei sein.

Wer sind Ihre Anhänger?

Sie kommen aus allen Schichten der Bevölkerung.

Wer unterstützt den Premier?

Die Minister.

Nur die Minister?

Vielleicht noch ein paar reiche Leute aus seiner Umgebung.

Aber Ihre eigene Partei Umno, deren Vizevorsitzender Sie waren, hat Sie umstandslos fallengelassen und sich hinter Mahathir gestellt.

Das waren nur die oberen Chargen, nicht die einfachen Mitglieder. In den letzten Tagen bin ich auch in den Hochburgen der Umno gewesen, da sind 50.000 Leute zu meinen Kundgebungen gekommen, von denen die meisten Mitglieder meiner Partei waren.

Sie sprechen von Reformen, aber gehörten über zehn Jahre selbst zur Regierung. Viele Oppositionelle warfen Ihnen vor, selbst Teil das Systems zu sein, das Sie jetzt kritisieren.

Sie mögen das so gesehen haben. Aber sie kannten auch meine Ansichten über die Korruption und zur Demokratie, sie wußten, daß ich sehr tolerant bin. Ich war der einzige in der Regierung, der diese Leute überhaupt empfing und mit ihnen redete. Sie wußten, wie eng mein Spielraum war. Ich konnte als stellvertretender Premier meine Regierung nicht öffentlich kritisieren, aber privat übte ich Kritik. Das war der Grund, daß Mahathir beschloß, mich zu feuern, zu verleumden und zu demütigen. Ich sollte die Unterstützung der Öffentlichkeit verlieren. Interview: Jutta Lietsch