"Wir wurden betrogen"

■ Der kambodschanische Oppositionspolitiker Sam Rainsy fordert die Europäische Union auf, Ministerpräsident Hun Sen durch wirtschaftlichen Druck zum Kompromiß mit der Opposition zu zwingen

Vor drei Monaten wählte Kambodscha ein neues Parlament. Es wurde am 24. September eröffnet, doch bis heute gibt es keine neue Regierung. Die Oppositionsführer Prinz Norodom Ranariddh und Sam Rainsy fechten die Wahlen an. Nach Drohungen von Ministerpräsident Hun Sen, der seit seinem Putsch im Juli 1997 der starke Mann des Landes ist, setzten sich zahlreiche Oppositionspolitiker ins Ausland ab, so auch Sam Rainsy.

taz: Warum gibt es noch keine neue Regierung?

Sam Rainsy: Weil Hun Sens Partei sich weigert, unsere Wahlbeschwerden zu behandeln. Es gab viele Unregelmäßigkeiten. Hun Sens Partei akzeptiert nicht, daß wir die Formel für die Sitzverteilung in Frage stellen. Die beiden Oppositionsparteien erhielten zusammen 46 Prozent der Stimmen gegenüber 41 Prozent für die bisherige Regierung, die aber offiziell 52 Prozent der Sitze erhielt.

Die Verfassung schreibt zur Regierungsbildung eine Zweidrittelmehrheit vor. Sie sind also zur Zusammenarbeit mit Hun Sen gezwungen.

Es ist ein großer Unterschied, ob wir aus einer Position der Stärke oder Schwäche eine Koalition bilden. Würde unser Beschwerde stattgegeben, hätte die Opposition die absolute Mehrheit, jetzt haben wir aber nur 58 statt 62 der 122 Sitze. Zur Verabschiedung von Gesetzen reicht eine 50prozentige Mehrheit. Wir wurden also genau um die Mehrheit betrogen, die uns Reformen ermöglicht hätten.

Die EU-Beobachter haben die Wahl aber als frei und fair bezeichnet.

Sie sahen nur einen kleinen Ausschnitt. Sie waren nur am Wahltag und am ersten Tag der Auszählung vor Ort und haben dann bereits geurteilt. Hun Sens Partei stellte aber bereits Monate zuvor von ihr völlig kontrollierte Wahlgremien auf und verabschiedete einseitige Gesetze. Der ganze Prozeß war manipuliert. Nach Abreise der Beobachter wurde im großen Stil weiter manipuliert.

Ihre Partei hat vor den Wahlen die Beschlüsse der Wahlkommission unterzeichnet, die Sie jetzt angreifen.

Die Wahlkommission arbeitete mit drei Versionen des Wahlgesetzes. Wir haben in der Tat der ersten Version zugestimmt, die nicht als Entwurf gekennzeichnet war, und auch der zweiten Version, die nur anders gedruckt war, und schließlich auch der dritten Version, die einen anderen Umschlag hatte. Ohne uns zu informieren, ist in der dritten Version eine der 200 Seiten ausgetauscht worden. Da wir voll im Wahlkampf waren und die Änderung nicht bekanntgegeben wurde, haben wir das erst nach den Wahlen bemerkt.

Und wenn jetzt Regierung und Opposition weiter auf ihren Positionen beharren?

Gemeinsamer Druck von außen und innen wird Hun Sen zwingen, flexibler zu sein. Keine Regierung in Kambodscha kann ohne internationale Hilfe überleben.

Wann wird Kambodscha eine neue Regierung haben?

Vor Ende des Jahres. Wir haben die Frage der Wahlen zunächst beiseite gestellt und als Zeichen des guten Willens Reformvorschläge vorgelegt. Doch sollte Hun Sen darauf nicht eingehen, führt das Kambodscha in die Katastrophe.

Bestehen Sie weiter auf Gesprächen außerhalb des Landes?

Am 7. und 24. September initiierte Hun Sen Anschläge, für die er die Opposition verantwortlich machte und uns mit Verhaftung drohte. Wie können wir an Verhandlungen in Kambodscha teilnehmen, wenn ich jederzeit mit einem weiteren Zwischenfall und anschließender Verhaftung rechnen muß? Hun Sen kontrolliert Polizei und Justiz. Interview: Sven Hansen