Im Notfall alternativ

Mit einer homöopathischen Notfallambulanz auf St. Pauli wollen Mediziner Kinder aus sozial schwachen Familien versorgen  ■ Von Annette Weise

Eine homöopathische Notfallambulanz für Kinder? Das hört sich paradox an. Ein Homöopath therapiert doch eher längerfristig, und was nützen schon Tropfen oder Kügelchen bei einem Loch im Kopf? „Homöopathie kann viel behandeln“, verteidigt der Hamburger Homöopath und Kinderfacharzt Tom Bingert das Konzept. Das will er mit anderen homöopathischen ÄrztInnen und HeilpraktikerInnen im geplanten Sozial- und Gesundheitszentrum auf dem Gelände des ehemaligen Hafenkrankenhauses realisieren. Als Zusatzangebot zur Intensivmedizin soll dort bei Entzündungen des Hals-, Nasen-, Ohrenbereichs sowie der Atemwege, bei leichten Harnweginfekten, oberflächlichen Verletzungen, die keiner chirurgischen Behandlung wie etwa Nähen bedürfen, und leichten Verbrennungen die zweihundert Jahre alte Heilkunst angewendet werden.

„Vor allem Kinder bis vierzehn Jahre haben noch kein voll ausgereiftes Immunsystem“, sagt Bingert. „Harmlose“ Erkältungen oder Entzündungen könnten sich daher akut verschlimmern. Deshalb sei die Sorge vieler Eltern berechtigt, die mit ihren Kindern wegen sogenannter Bagatelleffekte schnell zum Arzt wollen. „Diese Frühwarnzeichen kann man in der Homöopathie sehr gut verwenden und einer Chronifizierung der Krankheit vorbeugen“, erklärt Bingert. Eine Ambulanz, in der jederzeit ein Ansprechpartner zur Verfügung steht, sei deshalb das angestrebte Modell.

Eine optimale Versorgung wäre mit sechs Stellen gewährleistet, sagt der Mediziner, der Erfahrungen in einem Entwichklungshilfeprojekt in Nepal gesammelt hat. Dort habe man von morgens um sieben bis mittags um zwölf zu zweit zehn bis zwanzig PatientInnen versorgt. „Das ist für eine konventionelle Praxis wenig“, weiß Bingert, „aber in der Homöopathie ist das viel.“ Schließlich dauere die Erstanamnese ungefähr eineinhalb Stunden. Frühmorgens, am Nachmittag und abends bis 23 Uhr seien die Hauptkrisenzeiten für erkrankte Kinder. Für die Nacht würde eine Art Bereitschaftsdienst genügen.

Allerdings: So ungeklärt wie die Finanzierung des Hafenkrankenhausprojektes generell ist auch die der speziellen Notfallambulanz. Nur wenige gesetzliche Krankenkassen zahlen homöopathische Behandlungen. Doch die VertreterInnen der sanften Medizin haben sich bewußt für den Standort auf St. Pauli entschieden, um gerade unbetuchte PatientInnen versorgen zu können.

Curt Koesters, Mitinitiator der homöopathischen Ambulanz-Idee, die sich vor allem an Kinder aus sozial schwachen Familien wenden soll, stellt die Sache so dar: „Für die Finanzierung bestehen zwei Möglichkeiten: Entweder wird die Ambulanz über die Kollegen mitfinanziert, oder sie muß sich privat finanzieren.“ Und da macht er nicht mit: „Eine Privatpraxis habe ich schon, da brauche ich nicht noch eine auf St. Pauli.“