Analyse
: Der König drängt

■ Kambodschas Sihanouk bietet sich einem Tribunal gege Rote Khmer an

Kambodschas König Sihanouk hat sich gestern bereit erklärt, freiwillig vor einem Tribunal über die Verbrechen der Roten Khmer zu erscheinen. Er wolle sogar kommen, wenn er nicht gerufen würde, versprach der 76jährige. „Ich werde jedes mögliche Urteil und jede gegen mich verhängte Strafe akzeptieren.“ Mit dieser Äußerung aus Peking, wo der König sich ärztlich behandeln läßt, versucht er die Regierung in Phnom Penh unter Druck zu setzen. Denn Premier Hun Sen hat gerade die beiden höchsten noch lebenden Führer der Roten Khmer, Khieu Samphan und Nuon Chea, unbehelligt in die Region Pailin ziehen lassen, wo sie womöglich kein Polizist und kein Soldat mehr einfangen wird. Rechtlich kann der König gegenüber dem Premier kein Tribunal durchsetzen, genießt aber eine größere moralische Autorität, die er mit seiner Äußerung in die Waagschale wirft.

Sihanouk will verhindern, daß wahr wird, was viele Kambodschaner fürchten und wohl auch viele ersehnen: daß die Vergangenheit in einem „tiefen Loch begraben“ wird, wie es der Regierungschef formulierte. Kein Tribunal gegen die Roten Khmer bedeutet keine Gerechtigkeit, keine Wahrheit, keine Sühne für jene monströsen Verbrechen, denen zwischen 1975 und 1979 über eine Million Menschen zum Opfer fielen. Sihanouk selbst spielte damals eine zwielichtige Rolle. Weil er unbedingt an die Macht zurückkehren wollte, die er 1970 nach einem von den USA unterstützten Putsch verlor, paktierte er mit den Roten Khmer. Er zog sogar die schwarze Kluft der Revolutionäre an, nachdem diese alle Bewohner seiner Hauptstadt brutal vertrieben hatten. Er diente den Kämpfern für einen rigiden Agrarkommunismus ein Jahr offiziell als Staatspräsident, bevor ihn der jetzt übergelaufene Khieu Samphan ablöste. Zugleich war auch er Opfer des Regimes: Er verlor fünf seiner vierzehn Kinder.

Sihanouks Vorstoß erinnert daran, daß viele der Beteiligten ein böses Spiel spielten: Bei einem Tribunal käme zum Beispiel die Rolle der USA zur Sprache, deren Bombenangriffe auf Kambodscha nach Ansicht der Roten Khmer ebenso grausam waren wie ihre eigenen Taten. Zur Sprache käme auch die Hilfe der Chinesen an die Roten Khmer und auch jene dubiosen Bündnisse mit westlichen Regierungen, die Pol Pot und seine Truppe nach der Vertreibung durch die Vietnamesen mit Waffen, Geld, Lebensmitteln und internationaler politischer Unterstützung wiederaufbauten.

Ein Tribunal, wie es Sihanouk offenkundig will, würde aber nicht nur die Mitverantwortung von Großmächten und Politikern ins Blickfeld rücken. Zum ersten Mal könnte auch eine öffentliche Debatte über die Beteiligung der „normalen Kambodschaner“, die sich bis jetzt ausschließlich als Opfer der Roten Khmer sehen wollen, beginnen. Jutta Lietsch