Denn sie wissen nicht, was sie verhandeln

Obwohl der Teilverkauf der Berliner Wasserbetriebe in wenigen Wochen unter Dach und Fach sein soll, wissen Investoren, Senat und PolitikerInnen noch immer nicht genau, was zu welchem Preis verkauft werden soll  ■ Von Hannes Koch

Sie raufen sich die Haare. Denn sie wissen nicht, wie sie ihren Zeitplan einhalten sollen. Die Manager der Konzerne, die sich um den Kauf von 49,9 Prozent der Aktien der Berliner Wasserbetriebe (BWB) bewerben, stehen derzeit unter Hochdruck. Am vergangenen Freitag hat ihnen die vom Senat beauftragte Investmentbank Merrill Lynch den Entwurf des Kaufvertrags zugeschickt – am nächsten Dienstag schon sollen die Unternehmen verbindliche Angebote vorlegen. Doch zur Zeit weiß niemand genau, wie der Vertrag später aussehen wird. Wichtige Bedingungen und Formulierungen sind noch völlig unklar. Denn Merrill Lynch hat den sechs Bewerberkonsortien einen löchrigen Entwurf zugeschickt. „Der enthält ziemlich viel Weißraum“, sagt ein Konzernvertreter. „Er ist nur ein Gitter“, bestätigt ein Kollege von der Konkurrenz. Die Unternehmen behelfen sich damit, dem Senat ihre Vorstellungen mitzuteilen, wie die Lücken im Regelwerk gefüllt werden könnten.

Sechs Firmengruppen stehen noch auf der Liste der Bewerber und haben die Möglichkeit, ein Angebot abzugeben: der französische Wasserkonzern Vivendi zusammen mit dem deutschen Energieriesen RWE, Thyssen mit dem ebenfalls französischen Wasserunternehmen Lyonnaise des Eaux, die englische Firma Severn Trent Water, die Bewag, die eventuell mit Preussen Elektra gemeinsame Sache macht, ferner Saur und der US-Konzern Enron.

Die Schwierigkeiten rühren unter anderem daher, daß es kein Pappenstiel ist, den größten kommunalen Wasserversorger Europas mit seinen milliardenteuren Anlagen und 6.400 Beschäftigten teilweise zu privatisieren. Denn in jedem Fall muß man eine sehr komplizierte rechtliche Konstruktion wählen, die die Bedürfnisse des Senats, der Beschäftigten und der Investoren gleichermaßen befriedigt. Das Kerngeschäft im Wasser- und Abwasserbereich muß überwiegend in der Hand des Staates bleiben, doch soll ebenso dem privaten Einfluß mittels einer darübergestülpten privatrechtlichen Aktiengesellschaft Rechnung getragen werden.

Andererseits freilich sind die zeitlichen Probleme selbstverschuldet: SPD-Finanzsenatorin Annette Fugmann-Heesing hat den erhofften Verkaufserlös von rund zwei Milliarden Mark für den Haushalt des vergangenen Jahres verplant, obwohl die Privatisierung nur angepeilt, aber nicht vollzogen war. Nun steckt die Finanzchefin in der Klemme: Bis Ende März kann sie den Haushaltsabschluß für 1998 hinauszögern, vielleicht noch ein paar Wochen länger.

Doch im Mai beginnen schon die Haushaltsverhandlungen für das Jahr 2000 – und spätestens dann muß man die Bücher für das vergangene Jahr schließen. Die Zeit drängt also – für die Grünen Anlaß genug, zu bemängeln, daß die Finanzsenatorin die anderthalbjährige Vorbereitungszeit für die Privatisierung nicht sinnvoll genutzt habe.

Eine entscheidende Unklarheit betrifft zum Beispiel die Frage, was überhaupt verkauft werden soll. „Wir haben Schwierigkeiten, unserem Vorstand den Gegenstand der Privatisierung zu nennen“, erklärte unlängst der Vertreter einer Bewerbergruppe. Nach Informationen der taz beinhaltet der Entwurf des Verkaufsvertrages zwar auch die Übergabe der landeseigenen Regenentwässerung, die gegenwärtig die BWB betreibt, an die neuen Besitzer. Doch innerhalb des Senats und der SPD wird Widerspruch dagegen laut.

Würde auch das Regenwasser privatisiert, erhöhte sich das Eigenkapital der Wasserbetriebe um rund 1,5 Milliarden Mark. Die Folge: Die Privatinvestoren könnten mehr Geld aus dem Unternehmen herausholen, denn ihre Rendite wird definiert als bestimmter, jährlich zu zahlender Prozentsatz vom Gesamtkapital der BWB. Nicht nur die Grünen befürchten deshalb, daß der Landeskonzern in Zukunft bis auf den letzten Tropfen ausgepreßt und durch die Privatisierung über Gebühr geschwächt wird.

Die Kapitalentnahme durch die späteren Besitzer wiederum ist eine wesentliche Größe für die Berechnung der Wasserpreise, die das Unternehmen den KundInnen in Zukunft in Rechnung stellen darf. Hier sagt etwa SPD-Wirtschaftsexperte Hermann Borghorst, daß seine „Skepsis noch nicht abschließend ausgeräumt ist“. Kein Wunder: Will doch auch Cyril Roger-Lacan, Manager des französischen Bewerbers Vivendi, nicht ausschließen, daß die Wasserpreise nach der Privatisierung weiter steigen.

Nicht nur die Investoren, auch die PolitikerInnen tappen partiell im dunkeln. Borghorst und seine KollegInnen von den anderen Fraktionen haben zum Beispiel Schwierigkeiten, überhaupt zu verstehen, welche Preisgestaltung das neue Betriebegesetz ermöglicht. Dieses Gesetz stellt eine wesentliche Grundlage für die Teilprivatisierung dar und soll demnächst vom Abgeordnetenhaus verabschiedet werden. Im Vertrag mit den Investoren will CDU-Wirtschaftssenator Wolfgang Branoner eine Preiserhöhung bis zum Jahr 2003 zwar ausschließen, doch die Grünen wollen lieber auf Nummer Sicher gehen. Um interpretierbare Gummiformulierungen zu ersetzen, plädieren sie nun dafür, per Gesetzestext die Kapitalentnahme seitens der Investoren wesentlich einzuschränken.

Aus Sicht der potentiellen Investoren sind noch viele weitere Punkte offen: Welche Zahl von Arbeitsplätzen muß man wie lange garantieren, welche Investitionen erwartet der Senat?

Einiges spricht dafür, daß die Bewerber Angebote unterbreiten werden, die verschiedene Varianten enthalten. So könnte sich der Kaufpreis bei einzelnen Firmengruppen auch in Richtung von drei Milliarden Mark bewegen – anstatt der offiziell angepeilten zwei Milliarden. Ein höherer Kaufpreis könnte dem Senat Nachteile in anderen Bereichen versüßen. Die Folgen des ganzen Geschäfts für die Wasserbetriebe und ihre Beschäftigten lassen sich deshalb heute kaum absehen.