Die östlichste Stadt des Westens

Mit dem Regierungsumzug verschieben sich auch die Koordinaten der Politik. Ob die Berliner Republik deshalb eine osteuropäische ist, fragte sich die Konrad-Adenauer-Stiftung und fand, daß sie es zumindest wirtschaftlich sein sollte  ■ Von Hannes Koch

Was wird sich für Bundespolitiker ändern, wenn sie in diesem Jahr von der alten in die neue Hauptstadt ziehen? „In Berlin treffe ich Türken, Polen und Russen. Mit Franzosen, Briten und Amerikanern hatte ich dagegen in Bonn mehr zu tun“, beschreibt Angelika Volle den für sie wesentlichen Unterschied.

Die Chefredakteurin der Blätter für deutsche und internationale Politik nahm gestern an einer interessant besetzten Diskussionsveranstaltung der CDU-nahen Konrad- Adenauer-Stiftung teil, die keine leichte Aufgabe zu bewältigen hatte. Unter dem Motto „Berlin – Symbol eines erweiterten Europa“ wollte man nicht zuletzt das definieren, was die Stadt Berlin zur neuen deutschen Vision der „Berliner Republik“ beitragen kann.

Die Versuche, ein wenig mehr Klarheit in bezug auf die Stadt und die deutsche Politik insgesamt zu gewinnen, bewegte sich freilich meist in der Sphäre der Hoffnungen. Der ehemalige tschechische Verteidigungsminister Michal Lobkowicz machte gleich zu Beginn darauf aufmerksam, daß übersteigerte Hoffnungen auch eine desorientierende Bedrohung für die praktische Politik darstellen können. Trotzdem waren sich die meisten DebattenrednerInnen einig, von Berlin eine besondere Zukunftsleistung in Sachen Grenzüberschreitung und Integration der osteuropäischen Kulturen und Menschen zu verlangen.

Der einzige Bereich, für den dieser Anspruch allerdings im Hinblick auf seine mögliche Realisierung untersucht wurde, war der der Wirtschaft. Gerade für die Podiumsteilnehmer aus den osteuropäischen Reformstaaten lag auf der Hand, daß Berlin die vom Senat entworfene Vision von der „Drehscheibe zwischen Ost und West“ würde erfüllen können. Wenn Antoni Kuklinski von der Universität Warschau auch viel „Mißmanagement“ in der städtischen Ökonomie seit 1989 feststellte, so war für ihn doch völlig klar, daß die neue Hauptstadt sich binnen 20 Jahren zur „globalen Metropolis“ entwickeln wird.

Professor Andras Inotai von der ungarischen Akademie der Wissenschaften assistierte: Die Wirtschaftsregion Polen, Tschechien, Ungarn gehöre zu den wachstumsstärksten in Europa. Berlin liege geographisch und strategisch äußerst günstig, um bald an der Dynamik teilzunehmen.

Volker Hassemer von der Stadtmarketing-Firma „Partner für Berlin“ und CDU-Wirtschaftssenator Wolfgang Branoner versuchten die zukünftige Rolle der Stadt zwar auch in Anlehung an die frühere Kooperation der DDR-Hauptstadt mit Osteuropa zu definieren, gehörten insgesamt jedoch zum vorsichtigeren Teil der Versammlung. Beide sprachen vom „Potential Berlins“, legten aber Wert auf die Feststellung, daß die städtische Ökonomie zunächst den Zusammenbruch der Strukturen nach 1989 zu verkraften habe.

Diese Relativierung bewog auch den polnischen Visionär Kuklinski dazu, einen Gang zurückzuschalten. An der Zukunftsvorstellung von Berlin als globaler Metropolis auf einer Stufe von Paris und London hält er fest – fügte jedoch eine realistischere Aussage hinzu: Heute sei die „Südachse“ zwischen München, Wien und Budapest weit wirksamer als die „Nordachse“ zwischen Berlin, Warschau und Moskau.