Chaotisch gegen das greise Chamäleon

Alte Seilschaften, „technische Mängel“ und Schlammschlachten: Im Vorwahlkampf für die Präsidentschaft im Jahr 2000 proben Mexikos Parteien die Demokratie – mit wechselndem Erfolg  ■   Aus Mexiko-Stadt Anne Huffschmid

„Eine Demokratisierung ist in Mexiko wohl nur über den Umweg des Chaos möglich“, meinte eine mexikanische Kollegin kürzlich resigniert. Wie sehr die angestrebten neuen Spielregeln mit den Ritualen der alteingesessenen „Demokratur“ kollidieren, wurde jüngst exemplarisch deutlich bei der Wahl der Vorsitzenden von zwei der drei grossen Volksparteien, der regierenden PRI und der linksoppositionellen PRD.

Während bei der PRI der neue Chef in Ermangelung eines Gegenkandidaten schon vor Stimmabgabe in der vergangenen Woche feststand, geriet bei der PRD die „demokratische Übung“ der 600.000 Mitglieder zur ergebnislosen Schlammschlacht: Stimmzettel verschwanden, einige Wahllokale öffneten gar nicht oder verspätet. Auch Versuche von Stimmenkauf durch Geschenke soll es gegeben haben. Die Wahl muß wahrscheinlich annulliert werden aufgrund der „Unregelmäßigkeiten“ – eigentlich der zentrale Vorwurf der PRD an die PRI.

Bei der Staatspartei war das Ganze immerhin übersichtlicher: Lediglich die 344 Mitglieder des Parteivorstandes hatten die Wahl zwischen pro und contra für den ehemaligen Arbeitsminister José Antonio González Fernández. De facto hatte zwar auch diesmal, so vermutet der parteiinterne Reformflügel, Präsident Ernesto Zedillo seinen mächtigen Finger, el dedazo, im parteipolitischen Spiel. Aber immerhin verweigerte am Ende fast ein Viertel des Parteivorstandes González die Zustimmung via Enthaltung, Wegbleiben oder Gegenstimme – ein Novum für die greise Regierungspartei, die unlängst ihren siebzigsten Geburtstag feierte. González, der mit seinem hemdsärmeligen Image der Parteispitze wieder etwas Charisma verleiht, erwartet keine leichte Aufgabe: Er muß die PRI für den Kampf um die Präsidentschaftswahl im kommenden Jahr rüsten.

Deren Ausgang ist offener als je zuvor. Schon in den vergangenen Jahren ist das ehemals flächendekkende PRI-Monopol ins Wanken geraten. Regierte die Partei 1988 noch alle 32 Bundesstaaten, stellte 96 Prozent der Bürgermeister und die absolute Mehrheit im Parlament, so stammen heute nur noch 22 Gouverneure und knapp 60 Prozent der Bürgermeister aus ihren Reihen. Die drei wichtigsten Städte des Landes – Mexiko-Stadt, Guadalajara und Monterrey – werden von der linksliberalen oder konservativen Opposition regiert, und im Kongress ist die PRI inzwischen in der Minderheit. Der Präsidentensessel gilt als letzte Bastion des kränkelnden Regimes.

Ob diese von der Opposition gestürmt werden kann, wird nicht zuletzt von deren politischem Geschick abhängen. Damit aber scheint es auf der linken Seite derzeit nicht allzu weit her zu sein, nimmt man die desaströse Wahl der Parteispitze als Indikator. Dabei ging es dort nicht einmal um Programme, sondern nur um Personen. Die konkurrierenden Spitzenkandidaten Amalia Garcia und Jesús Ortega gehören beide dem moderaten Flügel der Partei an. Beide hatten sich, ganz im PRI-Stil, schon vor Ende der Stimmauszählung als Sieger präsentiert – etwas verfrüht, wie sich jetzt zeigte. Selbst wenn keine konzertierte Wahlfälschung hinter den über 1.000 registrierten Zwischenfällen bei den PRD-Wahlen stecken sollte, als „technische Mängel“ lassen sie sich nicht herunterspielen. Nun muß eine nichtgewählte Interimsführung die Partei durch den tobenden Vorwahlkampf geleiten.

Immerhin steht der Spitzenkandidat mit dem amtierenden Bürgermeister von Mexiko-Stadt, Cuauthémoc Cárdenas, schon so gut wie fest. Auch die rechtsliberale PAN-Partei schickt voraussichtlich eine Gallionsfigur ins Rennen: den Gouverneur des Bundesstaates Guanajuato Vicente Fox. Bei der PRI hingegen haben bereits fünf prominente Politiker ihr Interesse an dem begehrten Posten bekundet: Innenminister Francisco Labastida, Sozialminister Esteban Moctezuma, der ehemalige Parteivorsitzende Humberto Roque Villanueva und die Gouverneure Manuell Bartlett und Roberto Madrazo. Der Kandidat soll im Herbst zum ersten Mal in der Parteigeschichte von der Basis bestimmt werden. Daß die zehn Millionen PRI-Mitglieder sich reibungslos einigen können, gilt als ausgeschlossen.

Allerdings hat die Staatspartei bislang eine oft unterschätzte Zähigkeit und Anpassungsfähigkeit bewiesen. Darin gleicht sie trotz ihres Alters weniger einem Dinosaurier als vielmehr einem Chamäleon – und die sind bekanntlich noch nicht ausgestorben.